Präambel
Zur Umsetzung der Washingtoner Prinzipien sowie der Gemeinsamen Erklärung von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden zu deren Umsetzung und in Übereinstimmung mit den Ländern und kommunalen Spitzenverbänden hat die Bundesregierung im Jahre 2003 die unabhängige Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz, eingerichtet. Grundlage ihrer Tätigkeit ist die entsprechende Absprache zwischen Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden.
§ 1 Mandat
(1) Die Kommission kann bei Streitigkeiten über die Rückgabe von Kulturgütern angerufen werden, die während der Herrschaft des Nationalsozialismus vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 ihren Eigentümern, insbesondere jüdischen Bürgern, verfolgungsbedingt entzogen wurden. Die Anrufung kann auf Seiten des über das Kulturgut Verfügenden durch öffentliche Einrichtungen erfolgen, für die die Washingtoner Prinzipien von 1998 sowie die Gemeinsame Erklärung von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden zu deren Umsetzung von 1999 unmittelbar gelten, sowie durch private kulturgutbewahrende Einrichtungen in Deutschland, die sich diesen Grundsätzen bindend unterwerfen. Ebenso ist eine Anrufung auf Seiten des über das Kulturgut Verfügenden durch Privatpersonen möglich, die ebenfalls eine solche verbindliche Erklärung abgeben.
(2) Die Kommission fungiert als Mediatorin zwischen den Parteien und wirkt zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens auf eine gütliche Einigung hin. Sie kann zur Beilegung des Streits Empfehlungen abgeben, die auch moralisch-ethisch begründet werden können.
§ 2 Zusammensetzung und Vorsitz
(1) Die Kommission besteht aus bis zu zehn Mitgliedern.
(2) Die Kommissionsmitglieder wählen aus ihren Reihen eine:n Vorsitzende:n der Kommission sowie eine:n Stellvertreter:in. Die oder der Vorsitzende leitet die Sitzungen der Kommission und nimmt deren Außenvertretung wahr.
(3) Die Mitglieder der Kommission sind ehrenamtlich tätig. Die Aufwendungen der Mitglieder werden ersetzt.
(4) Die Beschlussfähigkeit der Kommission ist bei Anwesenheit der Mehrheit der Mitglieder gegeben.
§ 3 Antragstellung
(1) Voraussetzung für das Tätigwerden der Kommission ist das Einverständnis beider Seiten, eine Mediation durch die Kommission und ggf. eine Empfehlung der Kommission herbeiführen und diese befolgen zu wollen.
(2) Eine Befassung der Kommission mit dem Antrag setzt voraus, dass seitens des über das Kulturgut Verfügenden:
- der verfolgungsbedingte Entzug und
- die Berechtigung der Anspruchsteller gemäß der Orientierungshilfe der „Handreichung“ von 2001 in ihrer jeweils geltenden Fassung geprüft wurde,
- erste Bemühungen um eine gütliche Einigung unternommen wurden sowie
- eine Entscheidung in der Frage der Rückgabe durch die zuständige Stelle getroffen wurde.
(3) Der Antragsteller übermittelt seinen Antrag der Geschäftsstelle der Kommission. Diesem sind Dokumente beizufügen, die seitens des Anspruchstellers das ursprüngliche Eigentum, die Umstände des vorgetragenen NS-verfolgungsbedingten Verlustes sowie den Rechtsübergang von dem ursprünglichen Eigentümer zum Anspruchsteller belegen. Bei Antragstellung durch den über das Kulturgut Verfügenden ist das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 3 Abs. 2 zu belegen. Wird der Antrag von einem Vertreter gestellt, ist die Vertretungsberechtigung nachzuweisen. Bei Antragstellung durch einen Privaten über das Kulturgut Verfügenden ist die Erklärung nach § 1 Abs. 1 letzter Satz abzugeben. Auf Grundlage dieser Dokumente entscheidet die Kommission über die Aufnahme des Verfahrens.
§ 4 Vorverfahren
(1) Die Geschäftsstelle fordert die jeweils andere Partei zur Stellungnahme einschließlich entsprechender in § 3 Abs. 3 genannter Dokumente innerhalb von sechs Wochen auf. Auf Antrag ist eine Fristverlängerung möglich.
(2) Aus der Mitte der Kommission wird für den jeweiligen Fall ein:e Berichterstatter:in bestimmt. Der oder die Berichterstatter:in, der oder die Vorsitzende und der oder die stellvertretende Vorsitzende erhalten die Schriftsätze nach deren Eintreffen bei der Geschäftsstelle.
(3) In geeigneten Fällen wirkt die Kommission zunächst auf eine gütliche Einigung zwischen den Parteien hin. Erscheint dies erkennbar aussichtslos oder sind die Bemühungen der Kommission erfolglos, wird ein Sitzungstermin der Kommission anberaumt. Entscheidet die Kommission, dass eine Anhörung stattfinden soll, legt sie Datum, Ort und Zeit fest und setzt die Parteien mindestens sechs Wochen vorher in Kenntnis.
(4) Den anderen Kommissionsmitgliedern übermittelt die Geschäftsstelle alle Schriftsätze spätestens drei Wochen vor dem Sitzungstermin der Kommission.
(5) Jede Partei übersendet der jeweils anderen unverzüglich Kopien aller Dokumente, die der Geschäftsstelle bzw. der Kommission während des Verfahrens vorgelegt werden.
(6) Die Parteien haben bis zu vier Wochen vor der Sitzung bzw. Anhörung Zeit, der Kommission Dokumente zukommen zu lassen. Später eingereichte Unterlagen werden von der Kommission grundsätzlich nicht mehr berücksichtigt.
(7) Die Kommission kann den Parteien die Möglichkeit zur Anhörung von Dritten geben. Die Namen und Adressen dieser Personen sind der Kommission spätestens vierzehn Tage vor der Anhörung mitzuteilen.
§ 5 Anhörung
(1) Im Rahmen der Anhörung wird zunächst dem Antragsteller die Möglichkeit zur Darstellung seiner Position gegeben. Hiernach hat die andere Partei Gelegenheit zur Darstellung ihres Standpunktes. Im Anschluss folgt die Erörterung des Falls zwischen der Kommission und den Parteien.
(2) An der Anhörung können je ein:e Vertreter:in der oder des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und des Bundeslandes teilnehmen, in dem eine beteiligte Einrichtung ihren Sitz hat.
(3) Vor und nach der Anhörung der Parteien und ggf. der von ihnen benannten Dritten finden interne Kommissionsberatungen zum jeweiligen Fall statt.
(4) Die Beratungen und Abstimmungen (insbes. Abstimmungsverhalten und Abstimmungsergebnisse) der Kommission erfolgen nicht öffentlich und sind strikt vertraulich zu behandeln.
(5) Die Protokollierung in Form eines Ergebnisprotokolls erfolgt durch die Geschäftsstelle der Kommission, die zur Verschwiegenheit verpflichtet ist.
(6) Sofern eine Partei am Ende der Anhörung beantragt, aufgrund des Verlaufs der Anhörung neue Dokumente vorzulegen, kann die Kommission eine entsprechende Nachfrist (Ausschlussfrist) gewähren, wenn sie die betreffende Frage für entscheidungserheblich erachtet. In diesem Fall schließt sie die Behandlung des Falles erst unter Berücksichtigung dieser Dokumente ab.
§ 6 Empfehlung und Empfehlungsmaßstäbe
(1) Zur Beilegung des Streits kann die Kommission eine Empfehlung aussprechen.
(2) Die Empfehlung der Kommission wird mit einer Zweidrittelmehrheit beschlossen.
(3) Maßstab der Erörterungen und Empfehlungen der Kommission sind:
a. international anerkannte Grundsätze wie die Washingtoner Erklärung von 1998 und die Theresienstädter Erklärung von 2009 sowie
b. die deutsche Gemeinsame Erklärung von 1999 und die „Handreichung“ von 2001 zu deren Umsetzung in ihrer jeweils geltenden Fassung.
(3) Die Kommission berücksichtigt bei ihren Erörterungen und Empfehlungen insbesondere:
a. die Umstände, unter denen es zum Besitzverlust des Kulturguts gekommen ist,
b. die Umstände, unter denen das Kulturgut erworben wurde und die Nachforschungen, die zur Provenienz des Kulturguts unternommen wurden.
(4) Die Kommission kann grundsätzlich empfehlen, dass
a. das Kulturgut zurückgegeben werden soll;
b. das Kulturgut unter Zahlung einer Entschädigung zurückgegeben werden soll;
c. das Kulturgut unter der Maßgabe weiterer Bestimmungen zurückgegeben werden soll;
d. das Kulturgut beim aktuellen Besitzer oder Eigentümer verbleiben und die Zahlung einer Entschädigung erfolgen soll;
e. das Kulturgut unter Angabe seines Ursprungs und seiner Provenienz öffentlich ausgestellt werden soll;
f. der Antrag auf Restitution des Kulturguts abgelehnt werden soll.
Weitere Maßgaben können je nach den besonderen Umständen des Einzelfalls empfohlen werden.
(5) Die schriftliche Fassung der Empfehlung und ihrer Begründung wird den Parteien durch die Geschäftsstelle übermittelt.
(6) Die Geschäftsstelle veröffentlicht die Empfehlung und ihre Begründung auf ihrer Website.
(7) Die Kommission lässt zeitnah eine englische Arbeitsübersetzung der Empfehlung anfertigen, die ebenfalls auf ihrer Website veröffentlicht wird.
§ 7 Kosten
Alle Kosten, die den Parteien und ggf. von ihnen benannten Dritten im Zusammenhang mit der Anrufung der Kommission entstehen, sind von ihnen selbst zu tragen.
§ 8 Fachgutachten
Im Bedarfsfall kann die Kommission Fachgutachten in Auftrag geben. Die Kosten für die Erstellung der Fachgutachten werden von der oder dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien übernommen.
§ 9 Veröffentlichung
Diese Verfahrensordnung wird auf der Website der Kommission veröffentlicht.
Diese Verfahrensordnung wurde im Benehmen mit der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, den Ländern und den kommunalen Spitzenverbänden von der Kommission am 2. November 2016 beschlossen.
Die oder der Vorsitzende