Grundsätze der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden

Veröffentlicht im Zusammenhang mit der Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust, Washington, D.C., 3. Dezember 1998.

Im Bestreben, eine Einigung über nicht bindende Grundsätze herbeizuführen, die zur Lösung offener Fragen und Probleme im Zusammenhang mit den durch die Nationalsozialisten beschlagnahmten Kunstwerken beitragen sollen, anerkennt die Konferenz die Tatsache, dass die Teilnehmerstaaten unterschiedliche Rechtssysteme haben und dass die Länder im Rahmen ihrer eigenen Rechtsvorschriften handeln.

  1. Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und in der Folge nicht zurückerstattet wurden, sollten identifiziert werden.
  2. Einschlägige Unterlagen und Archive sollten der Forschung gemäß den Richtlinien des International Council on Archives zugänglich gemacht werden.
  3. Es sollten Mittel und Personal zur Verfügung gestellt werden, um die Identifizierung aller Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und in der Folge nicht zurückerstattet wurden, zu erleichtern.
  4. Bei dem Nachweis, dass ein Kunstwerk durch die Nationalsozialisten beschlagnahmt und in der Folge nicht zurückerstattet wurde, sollte berücksichtigt werden, dass aufgrund der verstrichenen Zeit und der besonderen Umstände des Holocaust Lücken und Unklarheiten in der Frage der Herkunft unvermeidlich sind.
  5. Es sollten alle Anstrengungen unternommen werden, Kunstwerke, die als durch die Nationalsozialisten beschlagnahmt und in der Folge nicht zurückerstattet identifiziert wurden, zu veröffentlichen, um so die Vorkriegseigentümer oder ihre Erben ausfindig zu machen.
  6. Es sollten Anstrengungen zur Einrichtung eines zentralen Registers aller diesbezüglichen Informationen unternommen werden.
  7. Die Vorkriegseigentümer und ihre Erben sollten ermutigt werden, ihre Ansprüche auf Kunstwerke, die durch die Nationalsozialisten beschlagnahmt und in der Folge nicht zurückgegeben wurden, anzumelden.
  8. Wenn die Vorkriegseigentümer von Kunstwerken, die durch die Nationalsozialisten beschlagnahmt und in der Folge nicht zurückgegeben wurden, oder ihre Erben ausfindig gemacht werden können, sollten rasch die nötigen Schritte unternommen werden, um eine gerechte und faire Lösung zu finden, wobei diese je nach den Gegebenheiten und Umständen des spezifischen Falls unterschiedlich ausfallen kann.
  9. Wenn bei Kunstwerken, die nachweislich von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und in der Folge nicht zurückgegeben wurden, die Vorkriegseigentümer oder deren Erben nicht ausfindig gemacht werden können, sollten rasch die nötigen Schritte unternommen werden, um eine gerechte und faire Lösung zu finden.
  10. Kommissionen oder andere Gremien, welche die Identifizierung der durch die Nationalsozialisten beschlagnahmten Kunstwerke vornehmen und zur Klärung strittiger Eigentumsfragen beitragen, sollten eine ausgeglichene Zusammensetzung haben.
  11. Die Staaten werden dazu aufgerufen, innerstaatliche Verfahren zur Umsetzung dieser Richtlinien zu entwickeln. Dies betrifft insbesondere die Einrichtung alternativer Mechanismen zur Klärung strittiger Eigentumsfragen.

Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz

Die Bundesrepublik Deutschland hat nach dem Zweiten Weltkrieg unter den Voraussetzungen der alliierten Rückerstattungsregelungen, des Bundesrückerstattungsgesetzes und des Bundesentschädigungsgesetzes begründete Ansprüche wegen des verfolgungsbedingten Entzugs von Kulturgütern erfüllt sowie die entsprechenden Verfahren und Institutionen zur Verfügung gestellt, damit die sonstigen Rückerstattungsverpflichteten von den Berechtigten in Anspruch genommen werden konnten. Die Ansprüche standen in erster Linie den unmittelbar Geschädigten und deren Rechtsnachfolgern oder im Fall erbenloser oder nicht in Anspruch genommenen jüdischen Vermögens den in den Westzonen und in Berlin eingesetzten Nachfolgeorganisationen zu. Die materielle Wiedergutmachung erfolgte im Einzelfall oder durch Globalabfindungsvergleiche. Das Rückerstattungsrecht und das allgemeine Zivilrecht der Bundesrepublik Deutschland regeln damit abschließend und umfassend die Frage der Restitution und Entschädigung von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut, das ins besondere aus jüdischem Besitz stammt.

In der DDR war die Wiedergutmachung von NS-Unrecht nach alliiertem Recht über gewisse Anfänge nicht hinausgekommen. Im Zuge der deutschen Vereinigung hat sich die Bundesrepublik Deutschland zur Anwendung der Grundsätze des Rückerstattungs- und Entschädigungsrechts verpflichtet. NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut wurde nach den Bestimmungen des Vermögensgesetzes und des NS-Verfolgtenentschädigungsgesetzes zurückgegeben oder entschädigt. Dank der globalen Anmeldung seitens der Conference on Jewish Material Claims Against Germany, Inc. (JCC) als der heutigen Vereinigung der Nachfolgeorganisationen sind im Beitrittsgebiet gelegene Ansprüche im Hinblick auf Kulturgüter jüdischer Geschädigter geltend gemacht worden. Wie früher in den alten Bundesländern wurde auch hier soweit wie möglich eine einzelfallbezogene materielle Wiedergutmachung und im Übrigen eine Wiedergutmachung durch Globalvergleich angestrebt.

I. Die Bundesrepublik Deutschland hat – ungeachtet dieser materiellen Wiedergutmachung – auf der Washingtoner Konferenz über Holocaust-Vermögen am 3. Dezember 1998 erneut ihre Bereitschaft erklärt, auf der Basis der verabschiedeten Grundsätze und nach Maßgabe ihrer rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten nach weiterem NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgut zu suchen und gegebenenfalls die notwendigen Schritte zu unternehmen, eine gerechte und faire Lösung zu finden. In diesem Sinne wird der Stiftungsratsbeschluss der Stiftung Preußischer Kulturbesitz vom 4. Juni 1999 begrüßt. Die Bundesregierung, die Länder und die kommunalen Spitzenverbände werden im Sinne der Washingtoner Erklärung in den verantwortlichen Gremien der Träger einschlägiger öffentlicher Einrichtungen darauf hinwirken, dass Kulturgüter, die als NS-verfolgungsbedingt entzogen identifiziert und bestimmten Geschädigten zugeordnet werden können, nach individueller Prüfung den legitimierten früheren Eigentümern bzw. deren Erben zurückgegeben werden. Diese Prüfung schließt den Abgleich mit bereits erfolgten materiellen Wiedergutmachungsleistungen ein. Ein derartiges Verfahren ermöglicht es, die wahren Berechtigten festzustellen und dabei Doppelentschädigungen (z. B. durch Rückzahlungen von geleisteten Entschädigungen) zu vermeiden. Den jeweiligen Einrichtungen wird empfohlen, mit zweifelsfrei legitimierten früheren Eigentümern bzw. deren Erben über Umfang sowie Art und Weise einer Rückgabe oder anderweitige materielle Wiedergutmachung (z. B. gegebenenfalls in Verbindung mit Dauerleihgaben, finanziellem oder materiellem Wertausgleich) zu verhandeln, soweit diese nicht bereits anderweitig geregelt sind (z. B. durch Rückerstattungsvergleich).

II. Die deutschen öffentlichen Einrichtungen wie Museen, Archive und Bibliotheken haben schon in der Vergangenheit die Suche nach NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut unterstützt:
1. durch Erschließung und Offenlegung ihrer Informationen, Forschungsstände und Unterlagen,
2. durch Nachforschungen bei konkreten Anfragen und eigene Recherchen im Falle von aktuellen Erwerbungen,
3. durch eigene Suche im Rahmen der Wahrnehmung der Aufgaben der jeweiligen Einrichtung,
4. durch Hinweise auf die Geschichte von Kulturgütern aus NS-verfolgungsbedingt entzogenem Besitz in den Sammlungen, Ausstellungen und Publikationen.
Diese Bemühungen sollen – wo immer hinreichend Anlass besteht – fortgeführt werden.

III. Darüber hinaus prüfen Bundesregierung, Länder und kommunale Spitzenverbände, im Sinne der Washingtoner Grundsätze ein Internet-Angebot einzurichten, das folgende Bereiche umfassen sollte:
1. Möglichkeiten der beteiligten Einrichtungen, Kulturgüter ungeklärter Herkunft zu veröffentlichen, sofern NS-verfolgungsbedingter Entzug vermutet wird.
2. Eine Suchliste, in die jeder Berechtigte die von ihm gesuchten Kulturgüter eintragen und damit zur Nachforschung für die in Frage kommenden Einrichtungen und die interessierte Öffentlichkeit ausschreiben kann.
3. Informationen über kriegsbedingte Verbringung NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter in das Ausland.
4. Die Schaffung eines virtuellen Informationsforums, in dem die beteiligten öffentlichen Einrichtungen und auch Dritte ihre Erkenntnisse bei der Suche nach NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern eingeben können, um Parallelarbeiten zu gleichen Themen (z. B.: Bei welcher Auktion wurden jüdische Kulturgüter welcher Sammlung versteigert?) auszuschließen und im Wege der Volltextrecherche schnell zugänglich zu machen.

IV. Diese Erklärung bezieht sich auf die öffentlich unterhaltenen Archive, Museen, Bibliotheken und deren Inventar. Die öffentlichen Träger dieser Einrichtungen werden aufgefordert, durch Beschlussfassung in ihren Gremien für die Umsetzung dieser Grundsätze zu sorgen. Privatrechtlich organisierte Einrichtungen und Privatpersonen werden aufgefordert, sich den niedergelegten Grundsätzen und Verfahrensweisen gleichfalls anzuschließen.

Handreichung zur Umsetzung der "Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ vom Dezember 1999, Neufassung 2019

2001 wurde zur praktischen Umsetzung der Gemeinsamen Erklärung von Bund, Ländern und Kommunen die Handreichung entwickelt. Sie unterstützt mit weiterführenden Informationen die Durchführung der aus der Gemeinsamen Erklärung resultierenden Aufgaben der Kulturgutbewahrenden Einrichtungen. Die Handreichung wurde 2007 überarbeitet und 2019 in der hier vorliegenden Form neu gefasst.

Best Practices zu den Richtlinien der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden, 5. März 2024

On 3 December 1998, 44 states participating in the Washington Conference on Holocaust-Era Assets endorsed the Washington Conference Principles on Nazi-Confiscated Art, which is incorporated by reference herein. These principles were subsequently commented on and clarified in the Vilnius Forum Declaration of October 5, 2000, endorsed by 38 states, the Terezin Declaration of June 30, 2009, endorsed by 47 states, and the 2010 Terezin Guidelines and Best Practices (which recognized the State of Israel’s special moral role as a home for the largest number of survivors of the Holocaust (Shoah)).
In recognition of the 25th anniversary of the Washington Conference Principles, the following legally non-binding but morally important best practices clarify and improve the practical implementation of these Principles. As was the case with the Principles, the best practices were drafted with the awareness that there are differing legal systems and that states act within the context of their own laws. Countries will apply the best practices that follow in accordance with national laws.

A. “Art” refers to the cultural property of victims of the Holocaust (Shoah) and other victims of Nazi persecution, in public or private hands, including but not limited to paintings and other visual and decorative art, sacred scrolls, synagogue and ceremonial objects, as well as libraries, manuscripts, archives, records, and musical instruments belonging to individuals and to Jewish and other communities, organizations, and institutions.

B. “Nazi-confiscated” and “Nazi-looted” refer to what was looted, confiscated, sequestered, and spoliated, by the Nazis, the Fascists and their collaborators through various means including but not limited to theft, coercion, and confiscation, and on grounds of relinquishment, as well as forced sales and sales under duress, during the Holocaust era between 1933-45.

C. Taking into account the specific historical and legal circumstances in each case, the sale of art and cultural property by a persecuted person during the Holocaust era between 1933-45 can be considered equivalent to an involuntary transfer of property based on the circumstances of the sale.

D. “Just and fair solutions” means just and fair solutions first and foremost for the victims of the Holocaust (Shoah) and other victims of Nazi persecution and for their heirs. In principle, as set out in the Terezin Declaration, the primary just and fair solution is restitution, among other just and fair solutions.

E. Restitution should be to all lawful beneficiaries and heirs in accordance with a country’s usual inheritance law. All pre-War owners who are identified through provenance research or their heirs should be proactively sought by the current possessors for the purpose of restitution.

F. In case of restitution, current possessors should not seek repayment from the pre-War owners or their heirs of the purchase price of Nazi-confiscated works of art in their collections. Compensation should be tax exempt.

G. Governments should encourage provenance research and projects to catalogue, digitize and make available on the internet public and private archives, including dealer records. Public and private collections should be encouraged to publish their inventories.

H. Provenance researchers should have access to all relevant archives and source documents. Provenance research carried out by public or private bodies should be made publicly available on the internet. Where queries are made, as a matter of fairness current possessors in particular should disclose all documentation related to acquisition and provenance to claimants. Provenance research, particularly regarding potential claims, ideally should be conducted by an independent research body to avoid possible conflicts of interest. Such an independent institution should be granted access to all relevant archives whether public or private.

I. Countries are encouraged to create an independent expert body whose composition may be the states’ responsibility, to which unilateral access is available that can adjudicate cases of art and cultural property and arrive at or recommend a binding or non-binding decision (for example, the use of commissions in Austria, France, Germany, Netherlands, and the United Kingdom). Such bodies should have balanced, expert, and representative membership. Use of alternative resolution mechanisms is encouraged to avoid litigation.

J. Claims handling bodies such as national commissions, museums or other agencies, are encouraged to publish terms of reference and rules of procedure as well as their decisions and recommendations so that the claims process and grounds for decisions are fully transparent to claimants.

K. To make restitution of art and cultural property that remains in state-owned collections and private hands possible, countries should consider making exceptions to barriers such as regulations against deaccessioning from state collections, statutes of limitations, market overt, usucapion (mode of acquiring title to property by uninterrupted possession of it for a definite period), good faith acquisition, and export bans.

L. Countries and institutions should maintain and publish online comprehensive information and statistics on research undertaken, works of art that have been identified and restitutions or other fair and just solutions that have been achieved. Information should be published about claims which have been made and that have been resolved, including reasons for the decision, giving due regard to confidentiality.

M. Countries and institutions should establish central contact points to provide information, advice and help on any query regarding art, records, archives and claims.

N. There is a recognized urgent need to work on ways to achieve a just and fair solution to the issue of spoliated art and cultural property where pre-War owners or their heirs, both individuals and legal persons cannot be identified, while recognizing there is no universal model for this issue and recognizing the previous Jewish or other ownership of such cultural assets.

O. Art and cultural property that is determined to have been the property of Jewish communities should be returned to an existing successor community, institution, or organization, and/or a successor organization for the Jewish people as a whole. The objects should not be seen as collection items but as part of the collective memory of the Jewish people. As yet unreturned items that exist in textual form, such as manuscripts, archives, scrolls, and books, should be digitized and made easily accessible over the internet.