Martha und Max Liebermann, sowie ihre Tochter Käthe, waren wegen ihrer jüdischen Abstammung ab dem Zeitpunkt der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten am 30. Januar1933 verfolgt. Bereits im Mai 1933 sah sich Max Liebermann (1846–1935) aufgrund der Diskriminierungen und Verfolgungen gezwungen, seine Mitgliedschaft und seine Ehrenpräsidentschaft der Preußischen Akademie der Künste, der er 25 Jahre angehört hatte, niederzulegen. Martha Liebermann (1857–1943) nahm sich 1943 angesichts ihrer drohenden Deportation das Leben. Der Tochter Käthe Riezler, geb. Liebermann (1885–1952), und ihrer Familie gelang 1938 die Flucht in die USA. Die umfangreiche Kunstsammlung Liebermanns wurde durch die Verfolgung weitgehend zwangsweise aufgelöst.
Die streitbefangene Zeichnung Bauarbeiter gehörte Max Liebermann ab 1916. Noch 16 Jahre später zeigt ein Foto aus dem Herbst 1932 Max Liebermann mit der Zeichnung hinter ihm an der Wand in seinem Haus am Wannsee.
Die direkten Nachfahren von Martha und Max Liebermann verlangen die Restitution der Zeichnung. Die Kulturstiftung Sachsen-Anhalt ist der Auffassung, die Antragstellenden hätten nicht nachgewiesen, dass sich das Werk auch noch zum Zeitpunkt der Machtergreifung am 30. Januar 1933, und damit im verfolgungsrelevanten Zeitraum, im Eigentum Max Liebermanns befunden habe. Sie tragen vor, die Antragstellenden sollten nachweisen, dass es zwischen dem Sommer 1932 und der Machtergreifung keinen Verkauf des Werks gegeben habe.
Beweispflichtig dafür, dass das Werk bei Machtergreifung der Nationalsozialisten noch Max Liebermann gehörte, sind zwar die Antragstellenden. Allerdings stellt die bloße Behauptung, über das Werk könne in den wenigen Monaten zwischen Herbst 1932 und der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 noch verfügt worden sein, eine reine Spekulation, eine Behauptung ins Blaue hinein, dar. Schon nach allgemeinen gesetzlichen Beweisregeln muss derjenige, der einen Sachverhalt behauptet, dafür einen substantiierten Tatsachenvortrag vorlegen. Sofern die Kulturstiftung Sachsen-Anhalt also nahelegt, das Kunstwerk könne noch in den wenigen Monaten vor der Machtergreifung an jemand anderen übereignet worden sein, müsste sie hierfür Beweis erbringen. Das ist nicht geschehen. Da auch sonst keine Anhaltspunkte für einen Handel mit dem Werk gegeben sind und die Wertschätzung Max Liebermanns für die Zeichnung auch daraus ersichtlich ist, dass er sie nicht nur seit 1916 besaß, sondern sie auch zu den Werken gehörte, die bei ihm an der Wand hingen, muss davon ausgegangen werden, dass das Werk auch noch zum Zeitpunkt der Machtergreifung Max Liebermann gehörte.
Die Beratende Kommission NS-Raubgut sieht einen NS-verfolgungsbedingten Entzug der Zeichnung spätestens im April1936, zum Zeitpunkt des Verkaufs durch die Hamburger Galerie Commeter an die Rechtsvorgängerin der heutigen Kulturstiftung Sachsen-Anhalt. Zwar sind keine Dokumente überliefert, die Martha Liebermann, die mit dem Tod Max Liebermanns am 8. Februar 1935 dessen Erbin geworden war, als Einlieferin ausweisen. Aber selbst eine Verfügung zu einem früheren Zeitpunkt gilt nach der Handreichung zur Umsetzung der „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ vom Dezember 1999 (Neufassung 2019) (im Folgenden: Handreichung), die die Grundlage für die Empfehlungen der Beratenden Kommission NS-Raubgut darstellt, als NS-verfolgungsbedingt. Denn zugunsten der Verfolgten regelt die Handreichung, dass mit Eintritt der kollektiven Verfolgung am 30. Januar 1933 ein Rechtsgeschäft von Verfolgten des Regimes regelmäßig eine ungerechtfertigte Entziehung darstellt und damit als NS-verfolgungsbedingt zu bewerten ist mit der Konsequenz einer Restitution. Da seitens der Kulturstiftung Sachsen-Anhalt auch nicht geltend gemacht werden konnte, das Rechtsgeschäft hätte auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus stattgefunden, empfiehlt die Beratende Kommission NS-Raubgut die Restitution der Zeichnung Bauarbeiter an die Erben nach Max und Martha Liebermann.
Beratende Kommission NS-Raubgut empfiehlt der Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) die Zeichnung Bauarbeiter (auch Maurer beim Bau) von Adolph von Menzel an die Erben nach Max und Martha Liebermann zu restituieren
Festakt zum 20-jährigen Bestehen im Jüdischen Museum Berlin
Die Beratende Kommission NS-Raubgut begeht am 14. September 2023 im Jüdischen Museum in Berlin ihren 20. Gründungstag. Dieses Jubiläum markiert zwei Jahrzehnte intensiver ehrenamtlicher Arbeit und bedeutender Empfehlungen zur Restitution von Raubkunst aus der Zeit des Nationalsozialismus. Die Kommission, bestehend aus zehn Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens mit juristischem, kunsthistorischem, historischem oder politischem Hintergrund, hat in dieser Zeit in 23 Fällen über die Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut entschieden. Die Empfehlungen der Kommission wurden und werden im In- und Ausland als wegweisend angesehen und beeinflussen maßgeblich die Entscheidungsfindung von Museen und ihren staatlichen oder kommunalen Trägern sowie den Kunstmarkt.
Unter dem Vorsitz von Prof. Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, hat die Beratende Kommission, am 04. September 2023 ein Memorandum beschlossen, in dem sie Forderungen an die Politik stellt. Die Kommission fordert mehr Kompetenzen sowie eine gesetzliche und rechtsverbindliche Basis für ihre Arbeit. Diese Forderungen sind Ausdruck des Bedarfs an einer effizienten und umfassenden Bearbeitung von Ansprüchen im Zusammenhang mit NS-Raubgut. Die Kommission sieht sich einer Vielzahl ungeklärter Ansprüche gegenüber und hält es für erforderlich, ihre Rolle zu stärken, um effektiv handeln zu können. Ziel muss es sein, der moralisch-politischen Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Nachkommen der Opfer des NS-Terrors gerecht zu werden.
Hierzu hält der Vorsitzende der Beratenden Kommission, Prof. Papier, fest: „Es fehlt ein klares Bekenntnis der Politik in Gestalt rechtlich verbindlicher Vorgaben für die Aufarbeitung der bis heute nicht restituierten Raubkunstfälle. Allein auf der Basis eines förmlichen Bundesgesetzes können die drei grundlegenden Forderungen an ein angemessenen und hinreichendes Restitutionsrecht erfüllt werden: Das sind die einseitige Anrufbarkeit der Kommission, die Bindungswirkung ihrer Entscheidungen und schließlich die Möglichkeit, Restitutionsverfahren auch dann einzuleiten, wenn die Kulturgüter sich in privater Hand befinden.“
Die Festveranstaltung findet am Donnerstag, dem 14. September 2023, mit geladenen Teilnehmenden im Jüdischen Museum Berlin statt. Die Gäste erwartet ein hochkarätiges Programm. Sprechen wird der Vorsitzende Prof. Hans-Jürgen Papier. Grußworte halten die Staatsministerin für Kultur und Medien der Bundesrepublik Deutschland Claudia Roth, der Staatssekretär im niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur, Prof. Dr. Joachim Schachtner, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland Dr. Josef Schuster, sowie Prof. Anthony Friend, Nachfahre von Julius Freund, dessen NS-verfolgungsbedingt entzogene Kunstsammlung er seit Jahrzehnten erforscht. Prof. Dr. Mary Fulbrook, die renommierte, britische Historikerin und Professorin für Deutsche Geschichte, wird zum Thema "Wiedergutmachung – Aber wie?" eine Festrede halten.
Memorandum der Beratenden Kommission NS-Raubgut
Die Beratende Kommission NS-Raubgut wurde vor 20 Jahren ins Leben gerufen. Sie besteht aus zehn Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens unter dem Vorsitz des früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Herrn Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, und berät in besonders komplexen Raubkunstfällen. Sie wurde 2003 von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden mit dem Ziel eingerichtet, bei Differenzen zwischen den Beteiligten über die Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter zu vermitteln. Sie ist die einzige Institution dieser Art in Deutschland.
Am 14. September 2023 findet in Berlin die Festveranstaltung der Beratenden Kommission zum 20-jährigen Jubiläum unter der Teilnahme von Politik, Forschung, Opferverbänden und Anspruchstellenden statt. Aus diesem Anlass hat die Beratende Kommission ein Memorandum erstellt, das den Reformbedarf für ihre Arbeit und des Restitutionsrechts aufzeigt.
Die 23 Empfehlungen der Beratenden Kommission NS-Raubgut werden im In- und Ausland seit Jahren als richtungsweisend rezipiert. Sie spielen für die Entscheidungsfindung von Museen und ihren Trägern eine wichtige Rolle und sie haben eine erhebliche Bedeutung für den Kunstmarkt. Die geringe Anzahl von Empfehlungen der Kommission beruht auf der entsprechenden geringen Anzahl von Anrufungen. Denn bis heute können die Opfer und deren Nachfahren nur dann vor die Kommission ziehen, wenn die kulturgutwahrenden Einrichtungen einer Anrufung der Kommission zustimmen. Demgegenüber steht die hohe Anzahl von bis heute nicht restituierter NS-Raubkunst. Alleine die sog. „Lost-Art Datenbank“, in der internationale Such- und Fundmeldungen von NS- Raubkunst veröffentlicht werden, verzeichnet rund 40.000 Such- und weitere 35.000 Fundeinträge entzogener Kulturgüter.
Die Bedingungen, unter denen die Beratende Kommission arbeitet, bleiben somit unbefriedigend. Auch im In- und Ausland reisst die Kritik nicht ab, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht hinreichend in der Lage und auch nicht wirklich Willens ist, das NS-Unrecht im Hinblick auf die Kulturgüter angemessen und umfassend wiedergutzumachen.
Vor diesem Hintergrund ist es der Beratenden Kommission anlässlich Ihres 20-jährigen Bestehens ein Anliegen, selbst und zukunftsgerichtet mögliche strukturelle Mängel aufzuzeigen und notwendige beziehungsweise denkbare Reformansätze zu benennen.
Einseitige Anrufbarkeit: Das Haupthemmnis für eine umfassende Bearbeitung von Raubkunstfällen durch die Beratende Kommission ist, dass die Nachfahren der Opfer keine Möglichkeit haben, das Verfahren einseitig von sich aus zu initiieren. Die Beratende Kommission fordert deshalb, dass die Opfer und deren Nachfahren die Möglichkeit erhalten müssen, ein Verfahren vor der Kommission in Gang zu setzen, ohne dass sie hierfür auf die freiwillige Mitwirkung der Kultureinrichtung angewiesen sind, in dessen Obhut sich das Kulturgut befindet.
Bindungswirkung der Entscheidungen: Bislang kann die Beratende Kommission nur Empfehlungen aussprechen und keine bindenden Entscheidungen erlassen. Ihre Umsetzung ist den Parteien anheimgestellt. Gefordert ist mithin der Gesetzgeber, der die Einrichtung, die Stellung und die Zusammensetzung der Kommission sowie deren Entscheidungsverfahren gesetzlich regeln sollte.
Kulturgüter in privater Hand, materielles Restitutionsgesetz unerlässlich: Die gängige Praxis in Deutschland führt dazu, dass bisher fast ausnahmslos Kulturgüter in öffentlichem Eigentum Gegenstand der Verfahren gewesen sind und der Besitz von Raubkunst von Privatpersonen und privaten Einrichtungen nicht angetastet wird. Die Beratende Kommission fordert, dass auch private Einrichtungen beziehungsweise Privatpersonen, die über NS-Raubkunst verfügen, in ein Restitutionsverfahren einbezogen werden sollten. Will man hier über den Gesichtspunkt der Freiwilligkeit hinausgehen, ist ein umfassendes Restitutionsgesetz erforderlich. Denn nach geltendem Zivilrecht sind Herausgabeansprüche unter Hinweis auf einen NS-verfolgungsbedingten Entzug nicht oder nicht mehr begründet oder durchsetzbar.
Gesetzliche Regelungsalternativen: Im Falle eines umfassenden Restitutionsgesetzes müssen verfassungsrechtliche Fragen geprüft und insbesondere die Wahrung des Grundrechts der Eigentumsfreiheit des Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes gewährleistet werden. Gutgläubigen Eigentümern, die gesetzlich verpflichtet wären, Kulturgut herauszugeben, müsste ein Entschädigungs- oder Ausgleichsanspruch zustehen. Was die Rolle der Beratenden Kommission anbelangt, wären sowohl eine verwaltungsrechtliche Lösung denkbar, bei der die Kommission als obere Bundesbehörde über Restitutionsbegehren entscheidet, oder eine zivilrechtliche, in der die Kommission als obligatorisches Schiedsgericht dem gerichtlichen Verfahren vorgeschaltet wäre. Eine solche Weiterentwicklung der Kommission wäre zu begrüßen, da sich in dieser Institution inzwischen großes Erfahrungswissen und Fachkenntnisse angesammelt haben.
Provenienzforschung: Die in Deutschland vom Bund finanzierte Forschung zur Herkunft von Kunstwerken ist unzureichend geregelt. In der weit überwiegenden Anzahl der Fälle gehen die Forschungsgelder an Museen. Die Auswertung der Ergebnisse unterliegt bis heute keiner unabhängigen Organisation oder Stelle, sondern erfolgt ebenfalls durch Museen. Die Beratende Kommission fordert, dass die Gelder für die Provenienzforschung (insgesamt rund 50 Millionen Euro seit 2008) nicht mehr nur an die Museen, sondern an ein unabhängiges Forschungsinstitut gehen sollen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich international und national zu der Verantwortung bekannt, die sie als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reichs trägt, insbesondere zur Aufarbeitung des NS-Unrechts und zur Rückgabe verfolgungsbedingt abhanden gekommener Kulturgüter. Dieser politisch-moralischen Verantwortung wird sie nicht gerecht, weil die bisherigen Regelungen, insbesondere bei strittigen Fällen, ungenügend sind. Daher verlangt die Beratende Kommission eine gesetzliche Regelung ihrer Stellung und Tätigkeit.
Beratende Kommission NS-Raubgut empfiehlt der Bayerischen Landesbank, das Gemälde "Das bunte Leben" von Wassily Kandinsky an die Erben nach Hedwig Lewenstein Weyermann und Irma Lewenstein Klein zu restituieren
Das Gemälde gehörte ab November 1927 dem in Amsterdam lebenden Ehepaar Hedwig und Emanuel Albert Lewenstein. Es war Teil ihrer umfangreichen Kunstsammlung. Am 9. Oktober 1940 – und damit nur wenige Monate nach der Besetzung der Niederlande durch die Deutsche Wehrmacht – wurde es beim Auktionshaus Frederik Muller & Co in Amsterdam als eines von 82 Losnummern des Nachlasses Lewenstein versteigert.
Bis wenige Wochen vor der Versteigerung befand sich Das bunte Leben als Leihgabe der Familie Lewenstein im Stedelijk Museum in Amsterdam. Dort wurde es am 5. September 1940 im Auftrag des Kunsthändlers Abraham Mozes Querido abgeholt. Trotz jahrelanger Recherchen konnte nicht geklärt werden, wer die Abholung veranlasst hatte. So kann auch nicht nachgewiesen werden, auf wessen Veranlassung das Gemälde als Teil des Nachlasses Lewenstein zur Versteigerung an das Auktionshaus Frederik Muller & Co gelangte. Bei der Versteigerung am 9. Oktober 1940 wurde Das bunte Leben von Salomon B. Slijper erworben, dessen Witwe es 1972 für 900.000 Niederländische Gulden (892.524,90 Deutsche Mark) an die Bayerische Landesbank verkaufte. Seitdem befindet es sich als Leihgabe in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München.
Zum Zeitpunkt der Versteigerung des Bunten Lebens im Oktober 1940 waren die Kinder von Hedwig und Emanuel Albert Lewenstein, Robert Gotschalk Lewenstein und Wilhelmine Helene Lewenstein, bereits in die USA bzw. die portugiesische Kolonie Mosambik emigriert bzw. ausgewandert. Nur Irma, die mit Robert in Trennung lebende Ehefrau, war in Amsterdam verblieben. Sie überlebte den Krieg, wurde aber immer wieder Opfer schwerer Verfolgungsmaßnahmen.
Die Bayerische Landesbank vertritt in dem Verfahren vor der Beratenden Kommission NS-Raubgut die Ansicht, Irma Lewenstein Klein habe die Versteigerung der Sammlung, und damit auch des Bunten Lebens, im Kontext ihrer Scheidungsauseinandersetzung veranlasst. Die Anspruchstellenden machen geltend, die Versteigerung sei im Zusammenhang mit der Besetzung durch die Nationalsozialisten und der damit einhergehenden systematischen Verfolgung der jüdischen Bevölkerung erfolgt.
Die Beratende Kommission NS-Raubgut ist der Auffassung, dass das Gemälde verfolgungsbedingt entzogen worden ist. Die Familie der Anspruchstellenden wurde von den Nationalsozialisten seit Beginn der deutschen Besatzung der Niederlande am 10. Mai 1940 als Juden verfolgt. Nach der Vermutungsregelung der Handreichung zur Umsetzung der „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ vom Dezember 1999 (Neufassung 2019) (im Folgenden: Handreichung) wird bei einem Verkauf ein verfolgungsbedingter Entzug angenommen, wenn die Betroffenen als verfolgt galten. Für die Annahme, Irma Lewenstein Klein habe die Einlieferung des Gemäldes aus freien Stücken veranlasst, fehlt es an Belegen. Eine Widerlegung der Vermutungsregelung ist daher nicht erfolgt.
Die Beratende Kommission NS-Raubgut betont, dass die systematische Ausgrenzung, Entrechtung und Enteignung der jüdischen Bevölkerung der Niederlande direkt nach dem Einmarsch der deutschen Truppen am 10. Mai 1940 begann. Aufgrund der unmittelbar einsetzenden Entrechtung jüdischer Bürger ist daher nach Auffassung der Kommission die Vermutungsregel der Handreichung ab dem Zeitpunkt des Einmarsches anzuwenden. Auch die niederländischen Restitutionsregeln, das jüngst reformierte assessment framework, enthält eine entsprechende Regelung: „If the original owner is a private individual belonging to a persecuted group, involuntary expropriation is presumed if it occurred in the Netherlands after 10 May 1940, in Germany after 30 January 1933 or in Austria after 13 March 1938, unless expressly stated otherwise.“ [„Handelt es sich bei dem ursprünglichen Eigentümer um eine Privatperson, die einer verfolgten Gruppe angehörte, wird eine unfreiwillige Enteignung vermutet, wenn sie in den Niederlanden nach dem 10. Mai 1940, in Deutschland nach dem 30. Januar 1933 oder in Österreich nach dem 13. März 1938 stattgefunden hat, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes belegt ist.“]
Daher empfiehlt die Beratende Kommission NS-Raubgut die Restitution des Gemäldes Das bunte Leben an die Erben nach Hedwig Lewenstein Weyermann und Irma Lewenstein Klein.
Ergänzender Beschluss der Beratenden Kommission NS-Raubgut in der Sache Erben nach Felix Hildesheimer ./. Hagemann Stiftung
Gegenstand des Verfahrens ist eine Violine von Giuseppe Guarneri „filius Andreae“. Das Verfolgungsschicksal von Felix Hildesheimer und seiner Familie und der NS-verfolgungsbedingte Verlust des Instruments ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Beratende Kommission NS-Raubgut hat bereits empfohlen, die Geige bei der Hagemann Stiftung zu belassen und den Erben nach Felix Hildesheimer den Wert des Instruments zu ersetzen (Empfehlung vom 7. Dezember 2016). Zuletzt haben beide Parteien die Beratende Kommission NS-Raubgut darum gebeten, den Wert des Instruments nach erfolgter Restaurierung noch einmal zu ermitteln. Die hierfür eingeholten Gutachten gaben im Durchschnitt einen Wert von 285.000 Euro an.
In teilweiser Abänderung ihrer bestehenden Empfehlung empfiehlt die Beratende Kommission NS-Raubgut daher, dass die Hagemann Stiftung den Erben nach Felix Hildesheimer als Ausgleich für den erlittenen Verlust eine Entschädigung in Höhe von 285.000 Euro zukommen lässt.
Die Beratende Kommission NS-Raubgut verkennt dabei nicht, dass der 2021 neu bestellte Vorstand der Hagemann Stiftung sich in besonderer Weise für eine gerechte und faire Lösung in dieser Sache eingesetzt hat. Sie würde es daher begrüßen, wenn die Parteien sich über eine gemeinsame Veranstaltung – etwa ein Gedenkkonzert – verständigen könnten, die die Erinnerung an Felix Hildesheimer wachhält und es ermöglicht, aus der Guarneri Geige nunmehr ein echtes „Instrument der Verständigung“ zu machen.
Beratende Kommission NS-Raubgut empfiehlt der Stiftung Stadtmuseum Berlin, das Gemälde "Portrait Alfred Kerr" von Lovis Corinth an die Erben nach Robert Graetz nicht zu restituieren - Berufung eines neuen Mitglieds in die Beratende Kommission NS-Raubgut
Das Gemälde war Teil der umfangreichen Kunstsammlung von Robert Graetz. Graetz war erfolgreicher Unternehmer und Teilhaber der Firma Glass & Graetz oHG in Berlin. Wegen seiner jüdischen Abstammung wurden er und seine Familie individuell und kollektiv verfolgt. Seinen Kindern aus erster Ehe gelang die Flucht ins Ausland, der Sohn seiner zweiten Ehefrau Bluma Graetz wurde mit einem Kindertransport nach England gebracht. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 wurde Bluma Graetz wegen ihrer Staatsangehörigkeit als „Staatsfeindin“ eingestuft und über die Türkei nach Russland ausgeliefert, wo sie sechs Jahre lang schwere Zwangsarbeit verrichten musste. Robert Graetz wurde am 14. April 1942 mit dem 14. Transport in das Konzentrationslager Trawniki bei Lublin deportiert. Eine letzte Nachricht an seine Tochter ist vom 16. Juni 1942 aus dem Warschauer Ghetto überliefert. Zum 31. Dezember 1945 wurde er für tot erklärt.
Angesichts des Verfolgungsschicksals der Familie Graetz geht die Beratende Kommission NS-Raubgut zwar davon aus, dass die umfangreiche Kunstsammlung der Familie größtenteils während des Nationalsozialismus verfolgungsbedingt verloren ging. Nach Auffassung der Kommission ist allerdings nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit dargetan, dass auch das streitbefangene Gemälde Robert Graetz verfolgungsbedingt entzogen wurde und er gegebenenfalls der Primärgeschädigte war. Darüber hinaus steht in diesem Falle einer Rückgabe ein 1957 geschlossener Vergleich entgegen. Darin verständigten sich die Erben nach Robert Graetz mit den damaligen Besitzern über den Verkauf des Bildes an das Schillertheater. Aufgrund des Vergleichs erhielten die Erben nach Robert Graetz einen Teil des Verkaufserlöses als Ausgleichsleistung. In der Gesamtwürdigung ist die Beratende Kommission NS-Raubgut deshalb zu der Einschätzung gelangt, dass das Gemälde nicht an die Erben nach Robert Graetz zu restituieren ist.
Die Beratende Kommission NS-Raubgut legt jedoch Wert auf die Feststellung, dass die Geschichte des Gemäldes auf bedrückende Weise mit drei – nimmt man den Portraitierten hinzu, mit vier – Verfolgungsschicksalen verknüpft ist. Die Beratende Kommission NS-Raubgut empfiehlt, dass die Stiftung Stadtmuseum Berlin diese Provenienz bei ihrem künftigen Umgang mit dem Portrait Alfred Kerr auf angemessene Art und Weise würdigt.
2. Im Einvernehmen mit den Kulturministerinnen und -ministern sowie den Kultursenatoren der Länder und den kommunalen Spitzenverbänden hat Kulturstaatsministerin Monika Grütters Herrn Ministerpräsidenten a.D. Prof. Dr. Jürgen Rüttgers in die Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz, berufen. Die Berufung eines neuen Mitgliedes war nach dem Ausscheiden von Prof. Dr. Dr. Dietmar von der Pfordten notwendig geworden.
Beschluss des Stadtrats der Landeshauptstadt Düsseldorf zu Franz Marcs "Füchse"
Die Beratende Kommission NS-Raubgut wurde von Bund, Ländern und Kommunen geschaffen, um eine Prüfung nach der Handreichung, wie sie die kultur-bewahrenden Institutionen vornehmen, um eine ethisch-moralische und politische Bewertung zu ergänzen. Kurt Grawi wurde nach dem Pogrom vom November 1938 im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert, seines Vermögens beraubt und anschließend mit 10 Reichsmark ins Exil vertrieben. Für seine Weiterreise ab Brüssel war Grawi auf fremde Unterstützung angewiesen. In dieser Situation hat er versucht, das mutmaßlich unter erheblichen persönlichen Risiken ins Ausland verbrachte Gemälde zu verkaufen. Wie bereits in früheren Empfehlungen geht die Kommission davon aus, dass ein Rechts-geschäft außerhalb des NS-Machtbereichs die Annahme eines NS-verfolgungsbedingten Entzugs nicht notwendigerweise ausschließt.
Auch im Falle von Kurt Grawi stand der Verkauf in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Verfolgung. Grawi selbst hat betont, dass er nur wegen seiner Flucht aus Deutschland dazu gezwungen sei, das Gemälde zu verkaufen, um sich und seiner Familie im Exil eine neue Existenz aufzubauen. Angesichts dieser Sachlage hat es die Beratende Kommission NS-Raubgut als gerecht und fair erachtet, der Landeshauptstadt Düsseldorf zu empfehlen, das Bild an die Erben nach Kurt Grawi zu restituieren. Von einer grundlegenden Änderung der bisherigen Praxis kann entgegen einigen Presseberichten nicht die Rede sein.
Beratende Kommission NS-Raubgut empfiehlt der Landeshauptstadt Düsseldorf, das Gemälde "Füchse" von Franz Marc an die Erben nach Kurt und Else Grawi zu restituieren
Das Gemälde befand sich bis mindestens Februar 1940 im Eigentum von Kurt Grawi. Grawi war gelernter Bankkaufmann, Börsenmakler und selbstständiger Unternehmer. Wegen seiner jüdischen Abstammung wurde er individuell und kollektiv verfolgt. Nach der Reichspogromnacht wurde Grawi für mehrere Wochen im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert. Ende April 1939 emigrierte er über Brüssel nach Santiago de Chile, wo er am 4. Juni 1939 bei Verwandten seiner Ehefrau Else ankam. Grawi durfte dabei 10 Reichsmark mit sich führen. Für die Weiterreise ab Brüssel war er auf die Unterstützung von Freunden angewiesen. Im Dezember 1939 gelang auch Else Grawi mit ihren beiden Söhnen die Ausreise über Italien nach Chile zu ihrem Mann.
Aus einem am 30. April 1939 auf seiner Flucht in Brüssel kurz vor seiner Weiterreise nach Chile verfassten Schreiben Kurt Grawis geht hervor, dass sich die Füchse zu diesem Zeitpunkt in Paris zur weiteren Versendung nach New York befanden, wo das Gemälde „trotz der Ungunst der Zeit“ verkauft werden sollte. Dabei betonte Grawi, für ihn und seine Familie „bedeutet das Ergebnis die Grundlage für unsere Auswanderung“.
Zwischen Februar 1940 und September 1940 wurde das Gemälde in New York an William und Charlotte Dieterle verkauft. 1962 ging es als Schenkung Helmut Hortens in den Bestand der Städtischen Kunstsammlung Düsseldorf ein.
Nach Auffassung der Beratenden Kommission NS-Raubgut ist das Gemälde Füchse von Franz Marc zu restituieren, auch wenn der Verkauf außerhalb des NS-Machtbereiches seinen Abschluss gefunden hat. Der Verkauf 1940 in New York war die unmittelbare Folge der Inhaftierung im Konzentrationslager und der anschließenden Flucht und stand mit der nationalsozialistischen Verfolgung in einem derart engen Zusammenhang, dass der Ort des Geschehens demgegenüber zurücktritt.
Beratende Kommission NS-Raubgut empfiehlt der Stadt Köln, das Aquarell "Kauernder weiblicher Akt" von Egon Schiele an die Erbengemeinschaft nach Heinrich Rieger zu restituieren
Heinrich Rieger hat über Jahrzehnte hinweg in Wien eine bedeutende Sammlung zeitgenössischer Kunst aufgebaut. Den Kauernden weiblichen Akt hat er vermutlich vom Künstler selbst erhalten, den er als Zahnarzt behandelte. Nach dem sog. „Anschluss“ am 13. März 1938 war Rieger wegen seiner jüdischen Abstammung schwerster Verfolgung ausgesetzt. Seine Kunstsammlung ging durch Notverkäufe und „Arisierungen“ praktisch vollständig verloren. Rieger wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo er zu einem unbekannten Zeitpunkt ums Leben kam. Seine Frau wurde am 16. Mai 1944 nach Auschwitz deportiert und dort wahrscheinlich bei Ankunft vergast. Lediglich dem Sohn Robert gelang 1938 die Flucht in die USA.
Das konkrete Schicksal des Kauernden weiblichen Akts ist unbekannt. Riegers Sammlung blieb jedoch bis zum 13. März 1938 weitgehend intakt. Insbesondere Werke von Schiele gab Rieger nur in seltenen Ausnahmefällen ab. Nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises hat die Beratende Kommission NS-Raubgut deshalb den Nachweis für erbracht gesehen, dass der Kauernde weibliche Akt am 13. März 1938 noch zu Riegers Kunstsammlung gehörte und in der Folge NS-verfolgungsbedingt entzogen wurde.
Beratende Kommission NS-Raubgut empfiehlt dem Land Baden-Württemberg, das Gemälde "Geschwister" von Erich Heckel an die Erbengemeinschaft nach Max Fischer zu restituieren
Das Gemälde befand sich bis Januar 1934 im Eigentum von Max Fischer. Fischer war promovierter Historiker. Wegen seiner jüdischen Abstammung wurde er individuell und kollektiv verfolgt. 1935 verließ er Deutschland, 1936 emigrierte er dauerhaft in die USA.
Im Januar 1944 befand sich das Gemälde bei Erich Heckel im Keller seines Berliner Wohnhauses. Heckel stiftete es 1967 der Kunsthallte Karlsruhe, wo es sich seitdem befindet.
Es konnte nicht aufgeklärt werden, wann und unter welchen Bedingungen zwischen Januar 1934 und Januar 1944 Erich Heckel in den Besitz des Gemäldes gelangte oder sogar Eigentum an diesem erhielt. Nach Auffassung der Kommission ist somit von einem NS-verfolgungsbedingten Entzug auszugehen. Daher hat die Beratende Kommission NS-Raubgut einstimmig beschlossen, die Restitution der Geschwister an die Erben nach Max Fischer zu empfehlen.
Die Erben nach Max Fischer haben angekündigt, das Gemälde Geschwister an das Virginia Museum of Fine Arts zu stiften. Die Beratende Kommission NS-Raubgut würdigt dies als besondere Geste.
Empfehlung der Beratenden Kommission NS-Raubgut in Sachen Erben nach Felix Hildesheimer ./. Hagemann Stiftung wegen Weigerung der Hagemann Stiftung nicht umgesetzt
2. Ihr Unvermögen hat die Hagemann Stiftung zunächst mit stiftungsrechtlichen Schwierigkeiten begründet. Es ist jedoch nicht zu erkennen, inwieweit die Hagemann Stiftung gegenüber der Stiftungsaufsicht den ernsthaften Willen zum Ausdruck gebracht hat, der Empfehlung der Beratenden Kommission NS-Raubgut nachzukommen. Auch andere Wege, die Entschädigungssumme aufzubringen, wurden nicht mit der gebotenen Anstrengung verfolgt. Die Beratende Kommission NS-Raubgut bedauert, dass sich keine der beteiligten öffentlichen Institutionen dazu imstande gesehen hat, die Hagemann Stiftung zu veranlassen, der Empfehlung Folge zu leisten, und sie dabei zu unterstützen.
3. Auf die Bitte der Beratenden Kommission NS-Raubgut, ihr weiteres Vorgehen zu erläutern, hat die Hagemann Stiftung nunmehr auf neue Forschungsergebnisse verwiesen, die belegen würden, dass Felix Hildesheimer nicht bereits 1937 – wie noch 2016 angenommen – sondern erst am 11. Januar 1939 gezwungen gewesen sei, sein Geschäft zu verkaufen. Die Hagemann Stiftung sieht sich deshalb dazu berechtigt, keine Anstrengungen zur Umsetzung der Empfehlung mehr zu unternehmen. Damit setzt sie sich nicht nur in Widerspruch zu den geltenden Grundsätzen zur Restitution von NS-Raubgut, wie sie in den Washington Principles und der Handreichung niedergelegt sind, sondern ignoriert auch den gesicherten Kenntnisstand über das Leben im nationalsozialistischen Deutschland, insbesondere nach dem 9. November 1938.
4. Der Erbengemeinschaft, deren deutsche Vorfahren unter der Herrschaft des Nationalsozialismus schwerer Verfolgung ausgesetzt waren, wird seit vier Jahren der Eindruck vermittelt, einer Wiedergutmachung historischen Unrechts stünden in Deutschland politischer Unwille und bürokratische Hürden im Weg. Dass die Hagemann Stiftung dabei unverändert für sich in Anspruch nimmt, ihr Umgang mit der Angelegenheit mache die Geige zu einem „Instrument der Verständigung“, hält die Beratende Kommission NS-Raubgut für besonders unangebracht.
Anhang
Der Empfehlung der Beratenden Kommission NS-Raubgut vom 7. Dezember 2016 lagen folgende Erwägungen zugrunde:
Sophie Hagemann hat 1974 eine Guarneri-Geige erworben, die sich heute im Besitz der Hagemann Stiftung befindet. Im Zuge einer geplanten Restaurierung begann die Hagemann Stiftung, die Provenienz des Instruments zu untersuchen. Dabei ergab sich, dass der Speyerer Musikalienhändler Felix Hildesheimer die Geige am 24. Januar 1938 erworben hatte. Als Jude wurde Felix Hildesheimer individuell und kollektiv verfolgt. Nachdem er Wohnhaus und Musikalienhandlung verkaufen musste, beging Felix Hildesheimer am 1. August 1939 Selbstmord. Seinen beiden Töchtern war zuvor die Ausreise nach Australien bzw. die USA gelungen. Seine Witwe wurde am 26. Oktober 1940 nach Gurs deportiert, am 10. November 1941 konnte sie über Marseille in die USA fliehen.
Das zurückbleibende Mobiliar wurde von der Gestapo beschlagnahmt und versteigert. Angesichts dieser Tatsachen ist nicht ersichtlich, wie Felix Hildesheimer die Geige auf eine Weise verloren haben könnte, die heute nicht zur Restitution verpflichten würde. Die Beratende Kommission NS-Raubgut ist in ihrer Empfehlung deshalb zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich bei der Geige um NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut im Sinne der Washington Principles und der Handreichung handeln müsse.
Weil die Stifterin die Geige in gutem Glauben erworben und die Hagemann Stiftung selbst beträchtliche Anstrengungen unternommen hat, um die Provenienz des Instruments aufzuklären, hat die Beratende Kommission NS-Raubgut darauf verzichtet, eine Restitution zu empfehlen. Stattdessen hat sie empfohlen, die Erben finanziell zu entschädigen. Die Geige besaß damals einen Wert von 150.000 Euro, von denen Renovierungskosten in Höhe von 50.000 Euro abzuziehen waren. Die Erben sollten deshalb eine Entschädigung von 100.000 Euro erhalten. Mit diesem Vorgehen haben sich beide Seiten einverstanden erklärt.
Neuberufung dreier Mitglieder in die Beratende Kommission NS-Raubgut
Staatsministerin Grütters: „Vor nunmehr zwanzig Jahren fand die Washingtoner Konferenz statt, auf der sich Deutschland dazu bereit erklärt hat, nach NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgut zu suchen und gerechte und faire Lösungen zu finden. Es steht auch heute unverändert außer Frage, dass die Aufarbeitung des nationalsozialistischen Kunstraubes eine bleibende Verpflichtung für Deutschland ist. Zur Umsetzung der Washingtoner Prinzipien leistet die Beratende Kommission einen unverzichtbaren und bedeutenden Beitrag. Ich danke Frau Beck, Frau Dr. Lohse und Frau Prof. Dr. Schulze für ihre Bereitschaft, in der Kommission mitzuwirken. Mit ihnen konnten drei Persönlichkeiten gewonnen werden, die mit ihrem Sachverstand und beruflichen Renommee dazu beitragen werden, die bisherige ausgezeichnete Arbeit der Kommission fortzuführen.“
Die Kommission war 2003 von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden eingerichtet worden. Sie vermittelt bei Differenzen über die Rückgabe von Kulturgütern, die im Dritten Reich ihren Eigentümern, insbesondere verfolgten jüdischen Bürgern, entzogen wurden und sich heute in Museen, Bibliotheken, Archiven, anderen öffentlichen Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland oder in Privatbesitz befinden. Die Kommission übernimmt eine Mediatorenrolle zwischen den Trägern der Sammlungen und den ehemaligen Eigentümern der Kulturgüter bzw. deren Erben, wenn dies von beiden Seiten gewünscht wird. Zur Beilegung der Meinungsverschiedenheiten kann sie Empfehlungen aussprechen.
Mit Berufung der neuen Mitglieder ist die Beratende Kommission NS-Raubgut nun paritätisch besetzt.
Vorsitzender der Kommission ist der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, der die Funktion im Jahr 2017 übernommen hat. Weitere Mitglieder sind der Kunsthistoriker und stellvertretende Vorsitzende der Kommission Prof. Dr. Wolf Tegethoff, die ehemalige Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Marion Eckertz-Höfer, der Präsident des Deutschen Historischen Museums Prof. Dr. Raphael Gross, der Rechts- und Sozialphilosoph Prof. Dr. Dietmar von der Pfordten, der ehemalige Direktor der American Academy in Berlin Dr. Gary Smith und die ehemalige Bundestagspräsidentin Prof. Dr. Rita Süssmuth.
Neuer Vorsitz der Beratenden Kommission NS-Raubgut
Die Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters begrüßt die Wahl von Hans-Jürgen Papier: „Mit Prof. Papier wird eine renommierte und höchst anerkannte Persönlichkeit den Vorsitz der Beratenden Kommission übernehmen. Prof. Papier hat große Erfahrungen im Umgang mit komplizierten und komplexen Sachlagen, die er in dieses Ehrenamt einbringt. Ich bin sehr froh, dass wir als Nachfolger von Frau Prof. Limbach in diesem wichtigen Amt wieder einen ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes gewinnen konnten. Das juristische Fachwissen, die Erfahrung damit, einen Ausgleich zu finden und das hohe gesellschaftliche Renommee eines Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts stärken die Arbeit der Beratenden Kommission im nationalen und internationalen Kontext nachhaltig. Die ehrenamtliche und unter hohem persönlichen Engagement geleistete Arbeit der Kommission ist deshalb so wichtig, weil die Empfehlungen der Beratenden Kommission ein bedeutender Teil zur Erfüllung der moralischen Verpflichtung Deutschlands im Umgang mit NS-Raubkunst und der praktischen Umsetzung der Washingtoner Prinzipien sind."
Professor Papier: „Ich freue mich auf die neue, verantwortungsvolle Aufgabe. Mit Jutta Limbach hatte die Kommission eine national und international hoch geschätzte Persönlichkeit, die die Arbeit der Kommission seit deren Gründung maßgeblich prägte. Es ist mir eine große Ehre, diese Aufgabe fortzuführen, weil es sich bei der Suche nach fairen und gerechten Lösungen hinsichtlich NS-Raubkunst um eine nach wie vor ethisch und politisch hochsensible Verpflichtung handelt.“
Professor Papier ist seit 2016 Mitglied der Beratenden Kommission NS-Raubgut. Er war von 2002 bis 2010 Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Im Zeitraum von 2010 bis 2015 saß Professor Papier der Kammer für Öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Deutschland vor. Von 1991 bis 1998 wirkte er als Vorsitzender der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR. Von 1996 bis 1998 war er stellvertretender Vorsitzender der Ethikkommission der Bayerischen Landesärztekammer.
Professor Tegethoff gehört seit 2008 der Beratenden Kommission NS-Raubgut an. Er ist seit 1991 Direktor des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München. Gastprofessuren nahm er in Bonn, Haifa und Venedig wahr. Seit 2000 ist Herr Prof. Tegethoff Honorarprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Gewählte Vorsitzende der Beratenden Kommission NS-Raubgut war von 2003 bis zu ihrem Tod im September 2016 Professor Limbach. Der stellvertretende Vorsitz wurde bis 2008 von Professor Thomas Gaethgens wahrgenommen, dem 2008 Professor Reinhard Rürup folgte, der seit Ende 2015 aufgrund der Erkrankung und des Todes von Professor Limbach als amtierender Vorsitzender tätig war.
Weiterentwicklung der Beratenden Kommission NS-Raubgut
Dies sind:
- die Möglichkeit, dass die Kommission auf Seiten des über das Kulturgut Verfügenden künftig auch durch Private angerufen werden kann,
- eine größere Transparenz, insbesondere durch eine Veröffentlichung der Verfahrensordnung der Kommission,
- eine Erweiterung der Kommission von acht auf zehn Mitglieder, darunter zumindest ein jüdisches Mitglied, das die Opferperspektive direkter einbringen soll,
- öffentliche Begründung der Empfehlungen.
Kulturstaatsministerin Monika Grütters: „Die rückhaltlose Aufarbeitung des nationalsozialistischen Kunstraubs ist eine bleibende Verpflichtung Deutschlands. Deshalb war es mir außerordentlich wichtig, die Beratende Kommission so weiterzuentwickeln, dass sie auch in Zukunft erfolgreich und von allen Seiten anerkannt ihre sensible und schwierige Aufgabe wahrnehmen kann. Sie ist ein Vertrauensgarant dafür, dass Deutschland seine Vergangenheit ehrlich und offensiv aufarbeitet. Die Reformvorschläge sind ein wichtiger Schritt zu einer immer besseren Umsetzung der Washingtoner Prinzipien, im Interesse der Opfer des NS-Kunstraubs und ihrer Nachkommen, aber auch der Museen in Deutschland.“
Das Bundeskabinett hat in dieser Woche die Weiterentwicklung der Kommission beschlossen. Die Amtschefkonferenz der Länder hat heute einstimmig zugestimmt und die Kernpunkte an das Ministerplenum der KMK zur endgültigen Beschlussfassung überwiesen.
Als neue Mitglieder der Beratenden Kommission NS-Raubgut werden der Direktor des Simon-Dubnow-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur, Professor Raphael Gross, der Philosoph und frühere Direktor der American Academy in Berlin, Gary Smith, und die ehemalige Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts, Marion Eckertz-Höfer, berufen.
Weitere Änderungen bei der Kommission betreffen die Begrenzung der Amtsdauer für neu zu berufende Mitglieder auf zehn Jahre sowie die Möglichkeit für die Kommission, künftig im Bedarfsfall Fachgutachten in Auftrag zu geben. Die Kosten für die Erstellung der Fachgutachten übernimmt die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.
Kulturstaatsministerin Grütters: „Ich erwarte, dass ausnahmslos alle deutschen Museen selbstverständlich zu einem Verfahren vor der Beratenden Kommission bereit sind. Dies gebietet die moralische und historische Verantwortung gegenüber den Opfern der NS-Verfolgung. Und es liegt auch im eigenen Interesse der Einrichtungen. Sollte ein Einverständnis der Parteien über eine Anrufung der Kommission nicht zustande kommen, fordere ich die institutionellen Träger der Einrichtungen dazu auf, nach den vereinbarten und wirksamen Washingtoner Prinzipien auf eine Anrufung hinzuwirken. Bei den von meinem Haus geförderten Einrichtungen werde ich mich weiterhin persönlich und entschieden dafür verwenden.“
Die Kommission war 2003 von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden eingerichtet worden, um bei Differenzen über die Rückgabe von Kulturgütern zu vermitteln, die im Dritten Reich ihren Eigentümern, insbesondere verfolgten jüdischen Bürgern, entzogen wurden und sich heute in Museen, Bibliotheken, Archiven oder anderen öffentlichen Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland befinden. Die Kommission übernimmt eine Mediatorenrolle zwischen den Trägern der Sammlungen und den ehemaligen Eigentümern der Kulturgüter bzw. deren Erben, wenn dies von beiden Seiten gewünscht wird. Zur Beilegung der Meinungsverschiedenheiten kann sie Empfehlungen aussprechen.
Kulturstaatsministerin Grütters drückte noch einmal ihre hohe Wertschätzung für die bisherige ausgezeichnete Arbeit der Beratenden Kommission NS-Raubgut und für das große und ehrenamtliche Engagement ihrer Mitglieder aus. Das gilt insbesondere für die jüngst verstorbene ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Jutta Limbach, die seit der Einsetzung der Kommission deren Vorsitzende war.
Zum Verfahren Erbengemeinschaft Alfred Flechtheim ./. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen (Juan Gris: "Violon et encrier")
Sie weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich die Anspruchsteller in ihrem Schreiben vom 15. Februar 2016 an die Kommissionsvorsitzende, Prof. Jutta Limbach, und Prof. Rürup ausdrücklich „für die ausgezeichnete Verhandlungsleitung der gut vorbereiteten Sitzung“ bedankt haben.
Zu der Anhörung sind die Parteien ordnungsgemäß eingeladen worden, alle relevanten Informationen sind durch die Geschäftsstelle der Kommission und wechselseitig den Parteien rechtzeitig vor der Anhörung zugeleitet worden.
Die Parteien wurden am 12. Februar 2016 sogleich zu Sitzungsbeginn von Prof. Rürup darüber informiert, dass die Vorsitzende der Kommission, Prof. Jutta Limbach, krankheitsbedingt verhindert sei. Hiergegen signalisierte keine der Parteien Einwände. Für den Ablauf der Anhörung hatte die krankheitsbedingte Abwesenheit der Vorsitzenden keine Auswirkungen, da Frau Prof. Limbach durch Herrn Prof. Rürup vertreten war.
Die Parteien wurden zudem zu Sitzungsbeginn darüber informiert, dass ein Kommissionsmitglied infolge einer bereits eingegangenen, zeitlich nicht zu verschiebenden, anderweitigen Verpflichtung die Sitzung vorzeitig verlassen müsse. Auch hiergegen hatte keine der Parteien Einwände. Das Verlassen der Sitzung hatte keine Auswirkung auf die ordnungsgemäße Beendigung der Anhörung, da keine Vertagung beantragt wurde.
Die Kommission ist erstaunt über die Art und Weise des Vorgehens der Vertreter der Erbengemeinschaft Alfred Flechtheim. Die Kommission ist aufgrund einer Entscheidung des Bundes, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände 2003 als Mediationsgremium aus ehrenamtlich tätigen, hochrangigen Persönlichkeiten aus Wissenschaft und öffentlichem Leben gegründet worden. Die Einschaltung der Kommission ist freiwillig und muss im Einvernehmen mit den Parteien erfolgen. Die Empfehlungen der Kommission sind rechtlich nicht verbindlich. Sie ist keine Behörde oder staatliche Stelle, sondern unabhängig - auch in ihrem Verfahren - und unterliegt keiner Dienst- und Fachaufsicht.