Gegenstand des Verfahrens ist eine Violine von Giuseppe Guarneri „filius Andreae“. Das Verfolgungsschicksal von Felix Hildesheimer und seiner Familie und der NS-verfolgungsbedingte Verlust des Instruments ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Beratende Kommission NS-Raubgut hat bereits empfohlen, die Geige bei der Hagemann Stiftung zu belassen und den Erben nach Felix Hildesheimer den Wert des Instruments zu ersetzen (Empfehlung vom 7. Dezember 2016). Zuletzt haben beide Parteien die Beratende Kommission NS-Raubgut darum gebeten, den Wert des Instruments nach erfolgter Restaurierung noch einmal zu ermitteln. Die hierfür eingeholten Gutachten gaben im Durchschnitt einen Wert von 285.000 Euro an.
In teilweiser Abänderung ihrer bestehenden Empfehlung empfiehlt die Beratende Kommission NS-Raubgut daher, dass die Hagemann Stiftung den Erben nach Felix Hildesheimer als Ausgleich für den erlittenen Verlust eine Entschädigung in Höhe von 285.000 Euro zukommen lässt.
Die Beratende Kommission NS-Raubgut verkennt dabei nicht, dass der 2021 neu bestellte Vorstand der Hagemann Stiftung sich in besonderer Weise für eine gerechte und faire Lösung in dieser Sache eingesetzt hat. Sie würde es daher begrüßen, wenn die Parteien sich über eine gemeinsame Veranstaltung – etwa ein Gedenkkonzert – verständigen könnten, die die Erinnerung an Felix Hildesheimer wachhält und es ermöglicht, aus der Guarneri Geige nunmehr ein echtes „Instrument der Verständigung“ zu machen.
Ergänzender Beschluss der Beratenden Kommission NS-Raubgut in der Sache Erben nach Felix Hildesheimer ./. Hagemann Stiftung
Beratende Kommission NS-Raubgut empfiehlt der Stiftung Stadtmuseum Berlin, das Gemälde "Portrait Alfred Kerr" von Lovis Corinth an die Erben nach Robert Graetz nicht zu restituieren - Berufung eines neuen Mitglieds in die Beratende Kommission NS-Raubgut
Das Gemälde war Teil der umfangreichen Kunstsammlung von Robert Graetz. Graetz war erfolgreicher Unternehmer und Teilhaber der Firma Glass & Graetz oHG in Berlin. Wegen seiner jüdischen Abstammung wurden er und seine Familie individuell und kollektiv verfolgt. Seinen Kindern aus erster Ehe gelang die Flucht ins Ausland, der Sohn seiner zweiten Ehefrau Bluma Graetz wurde mit einem Kindertransport nach England gebracht. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 wurde Bluma Graetz wegen ihrer Staatsangehörigkeit als „Staatsfeindin“ eingestuft und über die Türkei nach Russland ausgeliefert, wo sie sechs Jahre lang schwere Zwangsarbeit verrichten musste. Robert Graetz wurde am 14. April 1942 mit dem 14. Transport in das Konzentrationslager Trawniki bei Lublin deportiert. Eine letzte Nachricht an seine Tochter ist vom 16. Juni 1942 aus dem Warschauer Ghetto überliefert. Zum 31. Dezember 1945 wurde er für tot erklärt.
Angesichts des Verfolgungsschicksals der Familie Graetz geht die Beratende Kommission NS-Raubgut zwar davon aus, dass die umfangreiche Kunstsammlung der Familie größtenteils während des Nationalsozialismus verfolgungsbedingt verloren ging. Nach Auffassung der Kommission ist allerdings nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit dargetan, dass auch das streitbefangene Gemälde Robert Graetz verfolgungsbedingt entzogen wurde und er gegebenenfalls der Primärgeschädigte war. Darüber hinaus steht in diesem Falle einer Rückgabe ein 1957 geschlossener Vergleich entgegen. Darin verständigten sich die Erben nach Robert Graetz mit den damaligen Besitzern über den Verkauf des Bildes an das Schillertheater. Aufgrund des Vergleichs erhielten die Erben nach Robert Graetz einen Teil des Verkaufserlöses als Ausgleichsleistung. In der Gesamtwürdigung ist die Beratende Kommission NS-Raubgut deshalb zu der Einschätzung gelangt, dass das Gemälde nicht an die Erben nach Robert Graetz zu restituieren ist.
Die Beratende Kommission NS-Raubgut legt jedoch Wert auf die Feststellung, dass die Geschichte des Gemäldes auf bedrückende Weise mit drei – nimmt man den Portraitierten hinzu, mit vier – Verfolgungsschicksalen verknüpft ist. Die Beratende Kommission NS-Raubgut empfiehlt, dass die Stiftung Stadtmuseum Berlin diese Provenienz bei ihrem künftigen Umgang mit dem Portrait Alfred Kerr auf angemessene Art und Weise würdigt.
2. Im Einvernehmen mit den Kulturministerinnen und -ministern sowie den Kultursenatoren der Länder und den kommunalen Spitzenverbänden hat Kulturstaatsministerin Monika Grütters Herrn Ministerpräsidenten a.D. Prof. Dr. Jürgen Rüttgers in die Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz, berufen. Die Berufung eines neuen Mitgliedes war nach dem Ausscheiden von Prof. Dr. Dr. Dietmar von der Pfordten notwendig geworden.
Beschluss des Stadtrats der Landeshauptstadt Düsseldorf zu Franz Marcs "Füchse"
Die Beratende Kommission NS-Raubgut wurde von Bund, Ländern und Kommunen geschaffen, um eine Prüfung nach der Handreichung, wie sie die kultur-bewahrenden Institutionen vornehmen, um eine ethisch-moralische und politische Bewertung zu ergänzen. Kurt Grawi wurde nach dem Pogrom vom November 1938 im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert, seines Vermögens beraubt und anschließend mit 10 Reichsmark ins Exil vertrieben. Für seine Weiterreise ab Brüssel war Grawi auf fremde Unterstützung angewiesen. In dieser Situation hat er versucht, das mutmaßlich unter erheblichen persönlichen Risiken ins Ausland verbrachte Gemälde zu verkaufen. Wie bereits in früheren Empfehlungen geht die Kommission davon aus, dass ein Rechts-geschäft außerhalb des NS-Machtbereichs die Annahme eines NS-verfolgungsbedingten Entzugs nicht notwendigerweise ausschließt.
Auch im Falle von Kurt Grawi stand der Verkauf in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Verfolgung. Grawi selbst hat betont, dass er nur wegen seiner Flucht aus Deutschland dazu gezwungen sei, das Gemälde zu verkaufen, um sich und seiner Familie im Exil eine neue Existenz aufzubauen. Angesichts dieser Sachlage hat es die Beratende Kommission NS-Raubgut als gerecht und fair erachtet, der Landeshauptstadt Düsseldorf zu empfehlen, das Bild an die Erben nach Kurt Grawi zu restituieren. Von einer grundlegenden Änderung der bisherigen Praxis kann entgegen einigen Presseberichten nicht die Rede sein.
Beratende Kommission NS-Raubgut empfiehlt der Landeshauptstadt Düsseldorf, das Gemälde "Füchse" von Franz Marc an die Erben nach Kurt und Else Grawi zu restituieren
Das Gemälde befand sich bis mindestens Februar 1940 im Eigentum von Kurt Grawi. Grawi war gelernter Bankkaufmann, Börsenmakler und selbstständiger Unternehmer. Wegen seiner jüdischen Abstammung wurde er individuell und kollektiv verfolgt. Nach der Reichspogromnacht wurde Grawi für mehrere Wochen im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert. Ende April 1939 emigrierte er über Brüssel nach Santiago de Chile, wo er am 4. Juni 1939 bei Verwandten seiner Ehefrau Else ankam. Grawi durfte dabei 10 Reichsmark mit sich führen. Für die Weiterreise ab Brüssel war er auf die Unterstützung von Freunden angewiesen. Im Dezember 1939 gelang auch Else Grawi mit ihren beiden Söhnen die Ausreise über Italien nach Chile zu ihrem Mann.
Aus einem am 30. April 1939 auf seiner Flucht in Brüssel kurz vor seiner Weiterreise nach Chile verfassten Schreiben Kurt Grawis geht hervor, dass sich die Füchse zu diesem Zeitpunkt in Paris zur weiteren Versendung nach New York befanden, wo das Gemälde „trotz der Ungunst der Zeit“ verkauft werden sollte. Dabei betonte Grawi, für ihn und seine Familie „bedeutet das Ergebnis die Grundlage für unsere Auswanderung“.
Zwischen Februar 1940 und September 1940 wurde das Gemälde in New York an William und Charlotte Dieterle verkauft. 1962 ging es als Schenkung Helmut Hortens in den Bestand der Städtischen Kunstsammlung Düsseldorf ein.
Nach Auffassung der Beratenden Kommission NS-Raubgut ist das Gemälde Füchse von Franz Marc zu restituieren, auch wenn der Verkauf außerhalb des NS-Machtbereiches seinen Abschluss gefunden hat. Der Verkauf 1940 in New York war die unmittelbare Folge der Inhaftierung im Konzentrationslager und der anschließenden Flucht und stand mit der nationalsozialistischen Verfolgung in einem derart engen Zusammenhang, dass der Ort des Geschehens demgegenüber zurücktritt.
Beratende Kommission NS-Raubgut empfiehlt der Stadt Köln, das Aquarell "Kauernder weiblicher Akt" von Egon Schiele an die Erbengemeinschaft nach Heinrich Rieger zu restituieren
Heinrich Rieger hat über Jahrzehnte hinweg in Wien eine bedeutende Sammlung zeitgenössischer Kunst aufgebaut. Den Kauernden weiblichen Akt hat er vermutlich vom Künstler selbst erhalten, den er als Zahnarzt behandelte. Nach dem sog. „Anschluss“ am 13. März 1938 war Rieger wegen seiner jüdischen Abstammung schwerster Verfolgung ausgesetzt. Seine Kunstsammlung ging durch Notverkäufe und „Arisierungen“ praktisch vollständig verloren. Rieger wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo er zu einem unbekannten Zeitpunkt ums Leben kam. Seine Frau wurde am 16. Mai 1944 nach Auschwitz deportiert und dort wahrscheinlich bei Ankunft vergast. Lediglich dem Sohn Robert gelang 1938 die Flucht in die USA.
Das konkrete Schicksal des Kauernden weiblichen Akts ist unbekannt. Riegers Sammlung blieb jedoch bis zum 13. März 1938 weitgehend intakt. Insbesondere Werke von Schiele gab Rieger nur in seltenen Ausnahmefällen ab. Nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises hat die Beratende Kommission NS-Raubgut deshalb den Nachweis für erbracht gesehen, dass der Kauernde weibliche Akt am 13. März 1938 noch zu Riegers Kunstsammlung gehörte und in der Folge NS-verfolgungsbedingt entzogen wurde.
Beratende Kommission NS-Raubgut empfiehlt dem Land Baden-Württemberg, das Gemälde "Geschwister" von Erich Heckel an die Erbengemeinschaft nach Max Fischer zu restituieren
Das Gemälde befand sich bis Januar 1934 im Eigentum von Max Fischer. Fischer war promovierter Historiker. Wegen seiner jüdischen Abstammung wurde er individuell und kollektiv verfolgt. 1935 verließ er Deutschland, 1936 emigrierte er dauerhaft in die USA.
Im Januar 1944 befand sich das Gemälde bei Erich Heckel im Keller seines Berliner Wohnhauses. Heckel stiftete es 1967 der Kunsthallte Karlsruhe, wo es sich seitdem befindet.
Es konnte nicht aufgeklärt werden, wann und unter welchen Bedingungen zwischen Januar 1934 und Januar 1944 Erich Heckel in den Besitz des Gemäldes gelangte oder sogar Eigentum an diesem erhielt. Nach Auffassung der Kommission ist somit von einem NS-verfolgungsbedingten Entzug auszugehen. Daher hat die Beratende Kommission NS-Raubgut einstimmig beschlossen, die Restitution der Geschwister an die Erben nach Max Fischer zu empfehlen.
Die Erben nach Max Fischer haben angekündigt, das Gemälde Geschwister an das Virginia Museum of Fine Arts zu stiften. Die Beratende Kommission NS-Raubgut würdigt dies als besondere Geste.
Empfehlung der Beratenden Kommission NS-Raubgut in Sachen Erben nach Felix Hildesheimer ./. Hagemann Stiftung wegen Weigerung der Hagemann Stiftung nicht umgesetzt
2. Ihr Unvermögen hat die Hagemann Stiftung zunächst mit stiftungsrechtlichen Schwierigkeiten begründet. Es ist jedoch nicht zu erkennen, inwieweit die Hagemann Stiftung gegenüber der Stiftungsaufsicht den ernsthaften Willen zum Ausdruck gebracht hat, der Empfehlung der Beratenden Kommission NS-Raubgut nachzukommen. Auch andere Wege, die Entschädigungssumme aufzubringen, wurden nicht mit der gebotenen Anstrengung verfolgt. Die Beratende Kommission NS-Raubgut bedauert, dass sich keine der beteiligten öffentlichen Institutionen dazu imstande gesehen hat, die Hagemann Stiftung zu veranlassen, der Empfehlung Folge zu leisten, und sie dabei zu unterstützen.
3. Auf die Bitte der Beratenden Kommission NS-Raubgut, ihr weiteres Vorgehen zu erläutern, hat die Hagemann Stiftung nunmehr auf neue Forschungsergebnisse verwiesen, die belegen würden, dass Felix Hildesheimer nicht bereits 1937 – wie noch 2016 angenommen – sondern erst am 11. Januar 1939 gezwungen gewesen sei, sein Geschäft zu verkaufen. Die Hagemann Stiftung sieht sich deshalb dazu berechtigt, keine Anstrengungen zur Umsetzung der Empfehlung mehr zu unternehmen. Damit setzt sie sich nicht nur in Widerspruch zu den geltenden Grundsätzen zur Restitution von NS-Raubgut, wie sie in den Washington Principles und der Handreichung niedergelegt sind, sondern ignoriert auch den gesicherten Kenntnisstand über das Leben im nationalsozialistischen Deutschland, insbesondere nach dem 9. November 1938.
4. Der Erbengemeinschaft, deren deutsche Vorfahren unter der Herrschaft des Nationalsozialismus schwerer Verfolgung ausgesetzt waren, wird seit vier Jahren der Eindruck vermittelt, einer Wiedergutmachung historischen Unrechts stünden in Deutschland politischer Unwille und bürokratische Hürden im Weg. Dass die Hagemann Stiftung dabei unverändert für sich in Anspruch nimmt, ihr Umgang mit der Angelegenheit mache die Geige zu einem „Instrument der Verständigung“, hält die Beratende Kommission NS-Raubgut für besonders unangebracht.
Anhang
Der Empfehlung der Beratenden Kommission NS-Raubgut vom 7. Dezember 2016 lagen folgende Erwägungen zugrunde:
Sophie Hagemann hat 1974 eine Guarneri-Geige erworben, die sich heute im Besitz der Hagemann Stiftung befindet. Im Zuge einer geplanten Restaurierung begann die Hagemann Stiftung, die Provenienz des Instruments zu untersuchen. Dabei ergab sich, dass der Speyerer Musikalienhändler Felix Hildesheimer die Geige am 24. Januar 1938 erworben hatte. Als Jude wurde Felix Hildesheimer individuell und kollektiv verfolgt. Nachdem er Wohnhaus und Musikalienhandlung verkaufen musste, beging Felix Hildesheimer am 1. August 1939 Selbstmord. Seinen beiden Töchtern war zuvor die Ausreise nach Australien bzw. die USA gelungen. Seine Witwe wurde am 26. Oktober 1940 nach Gurs deportiert, am 10. November 1941 konnte sie über Marseille in die USA fliehen.
Das zurückbleibende Mobiliar wurde von der Gestapo beschlagnahmt und versteigert. Angesichts dieser Tatsachen ist nicht ersichtlich, wie Felix Hildesheimer die Geige auf eine Weise verloren haben könnte, die heute nicht zur Restitution verpflichten würde. Die Beratende Kommission NS-Raubgut ist in ihrer Empfehlung deshalb zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich bei der Geige um NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut im Sinne der Washington Principles und der Handreichung handeln müsse.
Weil die Stifterin die Geige in gutem Glauben erworben und die Hagemann Stiftung selbst beträchtliche Anstrengungen unternommen hat, um die Provenienz des Instruments aufzuklären, hat die Beratende Kommission NS-Raubgut darauf verzichtet, eine Restitution zu empfehlen. Stattdessen hat sie empfohlen, die Erben finanziell zu entschädigen. Die Geige besaß damals einen Wert von 150.000 Euro, von denen Renovierungskosten in Höhe von 50.000 Euro abzuziehen waren. Die Erben sollten deshalb eine Entschädigung von 100.000 Euro erhalten. Mit diesem Vorgehen haben sich beide Seiten einverstanden erklärt.
Neuberufung dreier Mitglieder in die Beratende Kommission NS-Raubgut
Staatsministerin Grütters: „Vor nunmehr zwanzig Jahren fand die Washingtoner Konferenz statt, auf der sich Deutschland dazu bereit erklärt hat, nach NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgut zu suchen und gerechte und faire Lösungen zu finden. Es steht auch heute unverändert außer Frage, dass die Aufarbeitung des nationalsozialistischen Kunstraubes eine bleibende Verpflichtung für Deutschland ist. Zur Umsetzung der Washingtoner Prinzipien leistet die Beratende Kommission einen unverzichtbaren und bedeutenden Beitrag. Ich danke Frau Beck, Frau Dr. Lohse und Frau Prof. Dr. Schulze für ihre Bereitschaft, in der Kommission mitzuwirken. Mit ihnen konnten drei Persönlichkeiten gewonnen werden, die mit ihrem Sachverstand und beruflichen Renommee dazu beitragen werden, die bisherige ausgezeichnete Arbeit der Kommission fortzuführen.“
Die Kommission war 2003 von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden eingerichtet worden. Sie vermittelt bei Differenzen über die Rückgabe von Kulturgütern, die im Dritten Reich ihren Eigentümern, insbesondere verfolgten jüdischen Bürgern, entzogen wurden und sich heute in Museen, Bibliotheken, Archiven, anderen öffentlichen Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland oder in Privatbesitz befinden. Die Kommission übernimmt eine Mediatorenrolle zwischen den Trägern der Sammlungen und den ehemaligen Eigentümern der Kulturgüter bzw. deren Erben, wenn dies von beiden Seiten gewünscht wird. Zur Beilegung der Meinungsverschiedenheiten kann sie Empfehlungen aussprechen.
Mit Berufung der neuen Mitglieder ist die Beratende Kommission NS-Raubgut nun paritätisch besetzt.
Vorsitzender der Kommission ist der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, der die Funktion im Jahr 2017 übernommen hat. Weitere Mitglieder sind der Kunsthistoriker und stellvertretende Vorsitzende der Kommission Prof. Dr. Wolf Tegethoff, die ehemalige Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Marion Eckertz-Höfer, der Präsident des Deutschen Historischen Museums Prof. Dr. Raphael Gross, der Rechts- und Sozialphilosoph Prof. Dr. Dietmar von der Pfordten, der ehemalige Direktor der American Academy in Berlin Dr. Gary Smith und die ehemalige Bundestagspräsidentin Prof. Dr. Rita Süssmuth.
Neuer Vorsitz der Beratenden Kommission NS-Raubgut
Die Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters begrüßt die Wahl von Hans-Jürgen Papier: „Mit Prof. Papier wird eine renommierte und höchst anerkannte Persönlichkeit den Vorsitz der Beratenden Kommission übernehmen. Prof. Papier hat große Erfahrungen im Umgang mit komplizierten und komplexen Sachlagen, die er in dieses Ehrenamt einbringt. Ich bin sehr froh, dass wir als Nachfolger von Frau Prof. Limbach in diesem wichtigen Amt wieder einen ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes gewinnen konnten. Das juristische Fachwissen, die Erfahrung damit, einen Ausgleich zu finden und das hohe gesellschaftliche Renommee eines Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts stärken die Arbeit der Beratenden Kommission im nationalen und internationalen Kontext nachhaltig. Die ehrenamtliche und unter hohem persönlichen Engagement geleistete Arbeit der Kommission ist deshalb so wichtig, weil die Empfehlungen der Beratenden Kommission ein bedeutender Teil zur Erfüllung der moralischen Verpflichtung Deutschlands im Umgang mit NS-Raubkunst und der praktischen Umsetzung der Washingtoner Prinzipien sind.\"
Professor Papier: „Ich freue mich auf die neue, verantwortungsvolle Aufgabe. Mit Jutta Limbach hatte die Kommission eine national und international hoch geschätzte Persönlichkeit, die die Arbeit der Kommission seit deren Gründung maßgeblich prägte. Es ist mir eine große Ehre, diese Aufgabe fortzuführen, weil es sich bei der Suche nach fairen und gerechten Lösungen hinsichtlich NS-Raubkunst um eine nach wie vor ethisch und politisch hochsensible Verpflichtung handelt.“
Professor Papier ist seit 2016 Mitglied der Beratenden Kommission NS-Raubgut. Er war von 2002 bis 2010 Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Im Zeitraum von 2010 bis 2015 saß Professor Papier der Kammer für Öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Deutschland vor. Von 1991 bis 1998 wirkte er als Vorsitzender der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR. Von 1996 bis 1998 war er stellvertretender Vorsitzender der Ethikkommission der Bayerischen Landesärztekammer.
Professor Tegethoff gehört seit 2008 der Beratenden Kommission NS-Raubgut an. Er ist seit 1991 Direktor des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München. Gastprofessuren nahm er in Bonn, Haifa und Venedig wahr. Seit 2000 ist Herr Prof. Tegethoff Honorarprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Gewählte Vorsitzende der Beratenden Kommission NS-raubgut war von 2003 bis zu ihrem Tod im September 2016 Professor Limbach. Der stellvertretende Vorsitz wurde bis 2008 von Professor Thomas Gaethgens wahrgenommen, dem 2008 Professor Reinhard Rürup folgte, der seit Ende 2015 aufgrund der Erkrankung und des Todes von Professor Limbach als amtierender Vorsitzender tätig war.
Weiterentwicklung der Beratenden Kommission NS-Raubgut
Dies sind:
- die Möglichkeit, dass die Kommission auf Seiten des über das Kulturgut Verfügenden künftig auch durch Private angerufen werden kann,
- eine größere Transparenz, insbesondere durch eine Veröffentlichung der Verfahrensordnung der Kommission,
- eine Erweiterung der Kommission von acht auf zehn Mitglieder, darunter zumindest ein jüdisches Mitglied, das die Opferperspektive direkter einbringen soll,
- öffentliche Begründung der Empfehlungen.
Kulturstaatsministerin Monika Grütters: „Die rückhaltlose Aufarbeitung des nationalsozialistischen Kunstraubs ist eine bleibende Verpflichtung Deutschlands. Deshalb war es mir außerordentlich wichtig, die Beratende Kommission so weiterzuentwickeln, dass sie auch in Zukunft erfolgreich und von allen Seiten anerkannt ihre sensible und schwierige Aufgabe wahrnehmen kann. Sie ist ein Vertrauensgarant dafür, dass Deutschland seine Vergangenheit ehrlich und offensiv aufarbeitet. Die Reformvorschläge sind ein wichtiger Schritt zu einer immer besseren Umsetzung der Washingtoner Prinzipien, im Interesse der Opfer des NS-Kunstraubs und ihrer Nachkommen, aber auch der Museen in Deutschland.“
Das Bundeskabinett hat in dieser Woche die Weiterentwicklung der Kommission beschlossen. Die Amtschefkonferenz der Länder hat heute einstimmig zugestimmt und die Kernpunkte an das Ministerplenum der KMK zur endgültigen Beschlussfassung überwiesen.
Als neue Mitglieder der Beratenden Kommission NS-Raubgut werden der Direktor des Simon-Dubnow-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur, Professor Raphael Gross, der Philosoph und frühere Direktor der American Academy in Berlin, Gary Smith, und die ehemalige Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts, Marion Eckertz-Höfer, berufen.
Weitere Änderungen bei der Kommission betreffen die Begrenzung der Amtsdauer für neu zu berufende Mitglieder auf zehn Jahre sowie die Möglichkeit für die Kommission, künftig im Bedarfsfall Fachgutachten in Auftrag zu geben. Die Kosten für die Erstellung der Fachgutachten übernimmt die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.
Kulturstaatsministerin Grütters: „Ich erwarte, dass ausnahmslos alle deutschen Museen selbstverständlich zu einem Verfahren vor der Beratenden Kommission bereit sind. Dies gebietet die moralische und historische Verantwortung gegenüber den Opfern der NS-Verfolgung. Und es liegt auch im eigenen Interesse der Einrichtungen. Sollte ein Einverständnis der Parteien über eine Anrufung der Kommission nicht zustande kommen, fordere ich die institutionellen Träger der Einrichtungen dazu auf, nach den vereinbarten und wirksamen Washingtoner Prinzipien auf eine Anrufung hinzuwirken. Bei den von meinem Haus geförderten Einrichtungen werde ich mich weiterhin persönlich und entschieden dafür verwenden.“
Die Kommission war 2003 von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden eingerichtet worden, um bei Differenzen über die Rückgabe von Kulturgütern zu vermitteln, die im Dritten Reich ihren Eigentümern, insbesondere verfolgten jüdischen Bürgern, entzogen wurden und sich heute in Museen, Bibliotheken, Archiven oder anderen öffentlichen Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland befinden. Die Kommission übernimmt eine Mediatorenrolle zwischen den Trägern der Sammlungen und den ehemaligen Eigentümern der Kulturgüter bzw. deren Erben, wenn dies von beiden Seiten gewünscht wird. Zur Beilegung der Meinungsverschiedenheiten kann sie Empfehlungen aussprechen.
Kulturstaatsministerin Grütters drückte noch einmal ihre hohe Wertschätzung für die bisherige ausgezeichnete Arbeit der Beratenden Kommission NS-Raubgut und für das große und ehrenamtliche Engagement ihrer Mitglieder aus. Das gilt insbesondere für die jüngst verstorbene ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Jutta Limbach, die seit der Einsetzung der Kommission deren Vorsitzende war.
Zum Verfahren Erbengemeinschaft Alfred Flechtheim ./. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen (Juan Gris: "Violon et encrier")
Sie weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich die Anspruchsteller in ihrem Schreiben vom 15. Februar 2016 an die Kommissionsvorsitzende, Prof. Jutta Limbach, und Prof. Rürup ausdrücklich „für die ausgezeichnete Verhandlungsleitung der gut vorbereiteten Sitzung“ bedankt haben.
Zu der Anhörung sind die Parteien ordnungsgemäß eingeladen worden, alle relevanten Informationen sind durch die Geschäftsstelle der Kommission und wechselseitig den Parteien rechtzeitig vor der Anhörung zugeleitet worden.
Die Parteien wurden am 12. Februar 2016 sogleich zu Sitzungsbeginn von Prof. Rürup darüber informiert, dass die Vorsitzende der Kommission, Prof. Jutta Limbach, krankheitsbedingt verhindert sei. Hiergegen signalisierte keine der Parteien Einwände. Für den Ablauf der Anhörung hatte die krankheitsbedingte Abwesenheit der Vorsitzenden keine Auswirkungen, da Frau Prof. Limbach durch Herrn Prof. Rürup vertreten war.
Die Parteien wurden zudem zu Sitzungsbeginn darüber informiert, dass ein Kommissionsmitglied infolge einer bereits eingegangenen, zeitlich nicht zu verschiebenden, anderweitigen Verpflichtung die Sitzung vorzeitig verlassen müsse. Auch hiergegen hatte keine der Parteien Einwände. Das Verlassen der Sitzung hatte keine Auswirkung auf die ordnungsgemäße Beendigung der Anhörung, da keine Vertagung beantragt wurde.
Die Kommission ist erstaunt über die Art und Weise des Vorgehens der Vertreter der Erbengemeinschaft Alfred Flechtheim. Die Kommission ist aufgrund einer Entscheidung des Bundes, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände 2003 als Mediationsgremium aus ehrenamtlich tätigen, hochrangigen Persönlichkeiten aus Wissenschaft und öffentlichem Leben gegründet worden. Die Einschaltung der Kommission ist freiwillig und muss im Einvernehmen mit den Parteien erfolgen. Die Empfehlungen der Kommission sind rechtlich nicht verbindlich. Sie ist keine Behörde oder staatliche Stelle, sondern unabhängig - auch in ihrem Verfahren - und unterliegt keiner Dienst- und Fachaufsicht.