Empfehlung der Beratenden Kommission nicht umgesetzt
Die Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz, stellt fest:
1. Die Empfehlung der Beratenden Kommission vom 7. Dezember 2016 in der Auseinandersetzung zwischen den Erben nach Felix Hildesheimer und der Franz Hofmann und Sophie Hagemann Stiftung (im Folgenden: Hagemann Stiftung) wurde nicht umgesetzt. Darin hat die Beratende Kommission empfohlen, dass die Hagemann Stiftung als Entschädigung für eine Guarneri-Geige in ihrem Besitz 100.000,- € an die Erben nach Felix Hildesheimer bezahlt. Beide Seiten haben dies als faire und gerechte Lösung akzeptiert. Für die Hagemann Stiftung hat der Vorstand am 9. Dezember 2016 öffentlich bekräftigt, der Empfehlung der Beratenden Kommission Folge leisten zu wollen. Gleichwohl hat die Hagemann Stiftung bis heute die empfohlene Entschädigungszahlung an die Erben weder ganz noch teilweise geleistet.
2. Ihr Unvermögen hat die Hagemann Stiftung zunächst mit stiftungsrechtlichen Schwierigkeiten begründet. Es ist jedoch nicht zu erkennen, inwieweit die Hagemann Stiftung gegenüber der Stiftungsaufsicht den ernsthaften Willen zum Ausdruck gebracht hat, der Empfehlung der Beratenden Kommission nachzukommen. Auch andere Wege, die Entschädigungssumme aufzubringen, wurden nicht mit der gebotenen Anstrengung verfolgt. Die Beratende Kommission bedauert, dass sich keine der beteiligten öffentlichen Institutionen dazu imstande gesehen hat, die Hagemann Stiftung zu veranlassen, der Empfehlung der Beratenden Kommission Folge zu leisten, und sie dabei zu unterstützen.
3. Auf die Bitte der Beratenden Kommission, ihr weiteres Vorgehen zu erläutern, hat die Hagemann Stiftung nunmehr auf neue Forschungsergebnisse verwiesen, die belegen würden, dass Felix Hildesheimer nicht bereits 1937 – wie noch 2016 angenommen – sondern erst am 11. Januar 1939 gezwungen gewesen sei, sein Geschäft zu verkaufen. Die Hagemann Stiftung sieht sich deshalb dazu berechtigt, keine Anstrengungen zur Umsetzung der Empfehlung mehr zu unternehmen. Damit setzt sie sich nicht nur in Widerspruch zu den geltenden Grundsätzen zur Restitution von NS-Raubgut, wie sie in den Washington Principles und der Handreichung niedergelegt sind, sondern ignoriert auch den gesicherten Kenntnisstand über das Leben im nationalsozialistischen Deutschland, insbesondere nach dem 9. November 1938.
4. Der Erbengemeinschaft, deren deutsche Vorfahren unter der Herrschaft des Nationalsozialismus schwerer Verfolgung ausgesetzt waren, wird seit vier Jahren der Eindruck vermittelt, einer Wiedergutmachung historischen Unrechts stünden in Deutschland politischer Unwille und bürokratische Hürden im Weg. Dass die Hagemann Stiftung dabei unverändert für sich in Anspruch nimmt, ihr Umgang mit der Angelegenheit mache die Geige zu einem „Instrument der Verständigung“, hält die Beratende Kommission für besonders unangebracht.
Anhang
Der Empfehlung der Beratenden Kommission vom 7. Dezember 2016 lagen folgende Erwägungen zugrunde:
Sophie Hagemann hat 1974 eine Guarneri-Geige erworben, die sich heute im Besitz der Hagemann Stiftung befindet. Im Zuge einer geplanten Restaurierung begann die Hagemann Stiftung, die Provenienz des Instruments zu untersuchen. Dabei ergab sich, dass der Speyerer Musikalienhändler Felix Hildesheimer die Geige am 24. Januar 1938 erworben hatte. Als Jude wurde Felix Hildesheimer individuell und kollektiv verfolgt. Nachdem er Wohnhaus und Musikalienhandlung verkaufen musste, beging Felix Hildesheimer am 1. August 1939 Selbstmord. Seinen beiden Töchtern war zuvor die Ausreise nach Australien bzw. die USA gelungen. Seine Witwe wurde am 26. Oktober 1940 nach Gurs deportiert, am 10. November 1941 konnte sie über Marseille in die USA fliehen. Das zurückbleibende Mobiliar wurde von der Gestapo beschlagnahmt und versteigert. Angesichts dieser Tatsachen ist nicht ersichtlich, wie Felix Hildesheimer die Geige auf eine Weise verloren haben könnte, die heute nicht zur Restitution verpflichten würde. Die Beratende Kommission ist in ihrer Empfehlung deshalb zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich bei der Geige um NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut im Sinne der Washington Principles und der Handreichung handeln müsse.
Weil die Stifterin die Geige in gutem Glauben erworben und die Hagemann Stiftung selbst beträchtliche Anstrengungen unternommen hat, um die Provenienz des Instruments aufzuklären, hat die Beratende Kommission darauf verzichtet, eine Restitution zu empfehlen. Stattdessen hat sie empfohlen, die Erben finanziell zu entschädigen. Die Geige besaß damals einen Wert von 150.000,- €, von denen Renovierungskosten in Höhe von 50.000,- € abzuziehen waren. Die Erben sollten deshalb eine Entschädigung von 100.000,- € erhalten. Mit diesem Vorgehen haben sich beide Seiten einverstanden erklärt.